Ein Artikel von Ana Honnacker
Das Problem mit der Hoffnung
Hoffnung, so ließe sich in Abwandlung eines Heiner Müller zugeschriebenen Bonmots sagen, ist nur ein Mangel an Information – zumindest im Kontext der globalen ökologischen Situation scheint es nur unter Aufbringung einer gehörigen Verdrängungsanstrengung möglich, weiterhin an ein besseres Morgen zu glauben. Eine Bestandsaufnahme der diversen gegenwärtigen Umweltkrisen, die mit dem Begriff des Anthropozäns, des „Zeitalters des Menschen“, zusammengebunden und auf den Punkt gebracht werden können, ist ernüchternd, wenn nicht zutiefst erschreckend: Die Konsequenzen der Nutzung fossiler Energie, der industriellen Landwirtschaft samt Massentierhaltung, der nicht-nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern und Gewässern, der Bebauung und Versiegelung von Flächen, der Entsorgung von (Plastik-)Müll usw. versetzen das Erdsystem in einen Zustand, der von dem relativ stabilen seit der letzten Eiszeit abweicht. Die neuen Umweltbedingungen gefährden dabei nicht nur die Organisation menschlichen Lebens, wie wir es kennen, sondern unterminieren auch für viele weitere Lebewesen den Rahmen, an den sie angepasst sind und den sie für ihr Wohlergehen benötigen. Die zunehmende Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur mit ihren direkten und indirekten Auswirkungen wie Extremwetterereignissen, Anstieg der Meeresspiegel oder Wasserknappheit ist dabei nur das bislang in der Öffentlichkeit am prominentesten diskutierte Symptom. Aber auch andere Krisenphänomene wie der beschleunigte Verlust von Biodiversität oder die Versauerung der Ozeane, die nur zögerlich ins öffentliche Bewusstsein dringen, machen die Tragweite der anthropogenen Eingriffe in die Natur deutlich. Das Überschreiten der Schwelle zum Anthropozän ist weniger menschliche Selbstermächtigung über die Natur als ein riskantes Experiment mit der vielbeschworenen Anpassungsfähigkeit des Menschen (und aller anderen Geschöpfe des Holozäns), dessen Ausgang offen ist.
Es ist inzwischen eigentlich kaum noch zu übersehen, dass eine bestimmte Weise zu wirtschaften, zu arbeiten, zu konsumieren, sich fortzubewegen und zu ernähren mit extremen Folgeerscheinungen verbunden ist, die letztlich zu einem ökologischen Kollaps führen. Die auf endlosem Wachstum aufgebaute Lebensform, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als globaler Goldstandard ausgebreitet hat, ist inhärent destruktiv nicht nur gegenüber den Ressourcen, die sie rückhaltlos verbraucht, sondern auch gegenüber Menschen und anderen Mitlebewesen. Die Hoffnung, die mit ihr einhergeht, nämlich auch zu jenen (wenigen) zu gehören, die von ihr profitieren, ist kurzsichtig. Was wie Fortschritt aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als (Selbst-)Zerstörungsprogramm ohnegleichen. Dass insbesondere der Klimawandel inzwischen Folgen zeitigt, die nicht anders als katastrophal zu nennen sind, ist wissenschaftlicher Konsens. Und selbst die eher konservativen Einschätzungen des Weltklimarats, wie sie sich etwa im Sechsten Sachstandsbericht finden, prognostizieren bei ungebremster Erwärmung eine Welt, die zunehmend lebensfeindlich wird. Die materiellen Grundlagen der Hoffnung auf eine gute, vielleicht sogar bessere Zukunft minimieren sich also zusehends, mit jeder weiteren emittierten Tonne CO2, jeder politischen Entscheidung zugunsten bestimmter Industrien, jedem weiteren Schritt auf einem Pfad, der in eine um ein Vielfaches wärmere und damit unbewohnbarere Welt führt. Übrig bleibt die Illusion, das Wetten auf ein Wunder, das im Prinzip nichts anderes ist als Realitätsverweigerung.
„Die Situation ist beängstigend, und keine Angst zu empfinden, ein Symptom des Sich‑Nicht‑Stellens.“ – Ana Honnacker
Auch Vorstellungen von radikaler ökologischer Umkehr nähern sich mehr und mehr der Figur eines deus ex machina an. Zwar gibt es ein wachsendes öffentliches Umweltbewusstsein, eine spürbare politische oder auch nur alltagspraktische Wende ist in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht erfolgt. Das liegt nicht nur an den eingegangenen Pfadabhängigkeiten, die es extrem erschweren, Richtung Nachhaltigkeit umzusteuern, weil dafür ein Umbau ganzer Infrastrukturen notwendig wäre, sondern auch an kulturellen Beharrungskräften. Lebensformen sind nicht nur träge (was einmal etabliert ist und sich als „normal“ eingespielt hat, lässt sich nur schwer ändern oder auch nur kritisieren), sie weisen auch aktive Mechanismen des Selbstschutzes auf: Dass „wir“ (gemeint sind die Menschen in einer industrialisierten, wachstumsorientierten Konsumgesellschaft) die eigentliche Wurzel des Problems sind, lässt sich leichter diagnostizieren als akzeptieren – diese Einsicht wäre aber ein wesentlicher Schritt zum Ausstieg aus dem business as usual. Stattdessen leben wir, wie es der bengalische Autor Amitav Ghosh in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, in einer „großen Verblendung“. Im Grunde, so müsste man es sich eingestehen, leugnen wir alle die ökologische Realität und legitimieren damit das „Weiter so“, die Fortführung der gegenwärtigen Normalität.
Nun sind Leugnung, Verdrängung und Ignoranz zum großen Teil Strategien der Kontingenzbewältigung und des Gefühlsmanagements. Sich der Wirklichkeit des Anthropozäns, die mehr und mehr einem Katastrophenfilm gleicht, verweigern zu wollen, ist so gesehen sehr nachvollziehbar, denn sie überfordert, überwältigt, verängstigt. Die Stabilität unseres psychisch-emotionalen Haushalts verlangt es geradezu, die Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm, aufrechtzuerhalten und alle anderen Optionen zu beschönigen, kleinzureden oder ganz auszublenden. Wie jedes andere wishful thinking jedoch erweist sich ein so in Stellung gebrachtes Prinzip Hoffnung nur als kurzfristige Entlastung. Auf lange Sicht hingegen wird es problematisch, weil es verhindert, einen Umgang mit der Realität des Anthropozäns zu finden. Hoffnung wirkt hier als Quietiv: Sie stellt uns ruhig, lässt uns untätig bleiben, wo eigentlich Handeln angezeigt wäre, weil sie den guten Ausgang vorwegnimmt und uns unempfänglich für problematische Entwicklungen macht. Das ist ganz konkret zu verstehen: Viele Phänomene wie der Klimawandel oder das Artensterben sind aufgrund ihrer räumlichen und zeitlichen Fragmentierung ohnehin diffus und bleiben als Ganzes dem Zugriff unserer Wahrnehmung entzogen, weil wir immer nur Einzelereignisse – wie etwa eine Überflutung – erfahren. Das macht es leicht, die dahinterliegende Realität abzublenden. Im Deutungshorizont von Hoffnung wird zusätzlich das eigentlich Bedrohliche und Beunruhigende dieser Erfahrungen überschrieben: Sie werden nicht als Ausläufer einer neuen, bereits angebrochenen Normalität verstanden, sondern als „Ausreißer“. Sie werden als Anomalien eingeordnet und damit gewissermaßen auf Distanz gehalten. Das Problem mit der Hoffnung ist also, dass sie zu dem beiträgt, was der Philosoph Günther Anders pointiert als „Apokalypseblindheit“ bezeichnet. Das mögliche schlimme Ende aber ernsthaft in Betracht ziehen zu können, ist notwendige Voraussetzung dafür, ihm entgegenzutreten. Insofern muss die zunächst einmal kontraintuitiv scheinende Losung lauten, alle Hoffnung fahren zu lassen und sich von aller Illusion frei zu machen, sich also ent-täuschen zu lassen.
Nun kann reiner Alarmismus keine Antwort sein, zumal Studien zeigen, dass drastische „Warnkommunikation“ immer nur temporär mobilisiert. Das aktivierende Moment katastrophischer Rede nimmt rasch ab, da eine Art Gewöhnungseffekt auftritt. Es muss also vielmehr darum gehen, das Fürchten zu lernen. Für Günther Anders ist diese Gefühlsleistung entscheidend: Nur wer die „angemessene Angst“ empfindet, kann die Situation in ihrer Tragweite begreifen und entsprechend auf sie reagieren. Sich nicht zu fürchten verzerrt die Evaluation einer Situation und damit auch, wie (und ob) wir auf sie reagieren. Greta Thunbergs Ausruf „I want you to panic“ trifft insofern einen Punkt: Die Situation ist beängstigend, und keine Angst zu empfinden, ein Symptom des Sich‑Nicht‑Stellens.
„Wie aber schaffen wir es, ein angemessenes Katastrophenbewusstsein zu entwickeln, das die Dringlichkeit der Lage verdeutlicht, ohne in einen Defätismus zu verfallen, der mindestens genauso paralysierend wirkt wie die Annahme, alles werde schon irgendwie gut?" – Ana Honnacker
Wie aber schaffen wir es, ein angemessenes Katastrophenbewusstsein zu entwickeln, das die Dringlichkeit der Lage verdeutlicht, ohne in einen Defätismus zu verfallen, der mindestens genauso paralysierend wirkt wie die Annahme, alles werde schon irgendwie gut? Es ist ein weit verbreiteter Einwand gegen die Verwendung apokalyptischer Rhetorik im Umweltdiskurs, dass durch sie sämtliche Motivation zum Handeln erstickt würde. Wer die Zukunft als Schreckensbild vor Augen habe, so der Vorwurf, könne nur noch resignieren. Der Glaube, es sei bereits „zu spät“, um etwas zu tun, hat damit auch eine Entlastungsfunktion: Ich muss nichts an mir und meiner Lebensweise ändern, ich muss mich nicht engagieren, weil nichts davon einen Unterschied macht. Entscheidend ist also, Handlungsspielräume aufzuzeigen und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Die Katastrophe muss als Option im Raum stehen, als eine mögliche Entwicklung, zugleich brauchen wir aber auch Vorstellungen davon, wie eine lebenswerte Zukunft aussehen könnte. Sonst bleibt in der Tat nur das „Weiter so“.
Ganz in diesem Sinne hat der Umweltphilosoph Hans Jonas eine „Heuristik der Furcht“ vorgeschlagen, die dazu aufruft, der „Unheilsprognose“ immer den Vorrang zu gewähren. Wir sollen vom Schlimmsten ausgehen – aber eben nur, um es nicht eintreten zu lassen. Wir haben es hier mit einem methodischen Pessimismus zu tun, einer Form paradoxen Zukunftsdenkens, das darauf setzt, dass die Prophezeiung sich eben nicht selbst erfüllt, sondern zerstört. Die Katastrophe muss vor Augen geführt werden, um sie zu verhindern. Anders weist hier, ähnlich wie Jonas, der Imagination eine entscheidende Rolle zu, die medial noch angeregt und so erweitert werden kann. Kunst und Literatur, aber auch Filmen, Serien oder Videospielen, die die Klimakatastrophe thematisieren und „durchspielen“, kommt damit eine wichtige Funktion zu: Sie können den sonst nur abstrakten Schrecken konkret werden lassen und damit fühlbar machen. Sie zeigen anschaulich, wie es sein könnte, und leisten damit im Wortsinne apokalyptische Arbeit: Sie offenbaren eine mögliche Realität.
Darüber hinaus lässt die Perspektivierung auf die Katastrophe hin die erlernten Bewertungen von dem, was als gut, gerecht oder eben einfach „normal“ empfunden wird, in einem anderen Lichte dastehen und eröffnet einen Raum für kritische Reflexion. Welche Priorität wollen wir der Freiheit der Konsumentscheidungen gegenüber der Angewiesenheit zukünftiger Generationen auf die Verfügbarkeit von Trinkwasser oder halbwegs stabile klimatische Verhältnisse zuschreiben? Wie würden wir selbst auf uns zurückblicken aus einer Zukunft, die auf den Ruinen unserer Zivilisation steht und durch Verteilungskämpfe, Pandemien und politische Verwerfungen geprägt ist? Das Ausmalen apokalyptischer und post-apokalyptischer Szenarien gibt ganz wesentlich auch den Blick auf die Gegenwart und unser Handeln in ihr frei. Indem das schlimme Ende antizipiert wird, zeigen sich die Monstrositäten des Status Quo. Damit kann die Einsicht wachsen, dass es so, wie es ist, nicht weitergehen darf. Apokalyptisches Denken ist also ganz wesentlich auch kritisches Denken, das darauf hinweist, dass das Bestehende verabschiedet und losgelassen werden muss.
Eine Haltung, die in einem solchen Denken verankert ist, weiß um die Prekarität der Zukunft. Nichts ist garantiert, nichts ist gerettet. Aber es ist auch noch nicht alles verloren. Genau deswegen braucht es den größtmöglichen Einsatz. Im Zustand einer, wie Gregory Fuller es nennt, „heiteren Hoffnungsloskeit“, die um die Katastrophe weiß und der furchterregenden Wirklichkeit nicht ausweicht, ist Resignation keine Option. Weil es dennoch – gerade jetzt – darauf ankommt, was wir tun. Nicht umsonst lautet der Wahlspruch der Extinction Rebellion-Bewegung „Hope Dies, Action Begins“. Gegen alle inneren und äußeren Widerstände ins Handeln zu kommen bleibt eine der größten Herausforderungen im Kampf um eine lebenswerte Zukunft. An das Ende glauben zu können ist für den Umweltdiskurs daher unverzichtbar.
Lizensierung
Ana Honnacker (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.
- 1 Vgl. Horn, Eva/Bergthaller, Hannes (2019): Anthropozän zur Einführung, Hamburg: Junius.
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2
Vgl. IPCC (2022): „Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung“, in: Klimawandel 2022: Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit. Beitrag der Arbeitsgruppe II zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGII-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.
- 3 Leggewie, Claus/Welzer, Harald (2010): Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
- 4 Vgl. Ghosh, Amitav (2017): Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare. München: Karl Blessing.
- 5 Norgaard, Kari Marie (2011): Living in Denial. Climate Change, Emotions, and Everyday Life, Cambridge, MA/London: MIT Press.
- 6 Vgl. Solnit, Rebecca (2016): Hope in the Dark. Untold Histories, Wild Possibilities, Edinburgh/London: Canongate.
- 7 Vgl. Anders, Günther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: Beck.
- 8 Weingart, Peter/Engels, Anita/Pansegrau, Petra (2002): Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien, Opladen: Leske + Budrich.
- 9 Vgl. Latour, Bruno (2017): Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das Neue Klimaregime, Berlin: Suhrkamp.
- 10 Vgl. Jonas, Hans (1988): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M.: Insel.
- 11 Vgl. Merton, Robert K. (1968): „The Self-Fulfilling Prophecy“, in: ders.: Social Theory and Social Structure, New York, NY: The Free Press, S. 475–490.
- 12 Vgl. Fuller, Gregory (1993): Das Ende. Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe, Leipzig: Amman.