Klima, Kollaps, Kommunikation

Perspektiven auf das Climate Endgame

Editorial

„Könnte der vom Menschen verursachte Klimawandel zu einem weltweiten gesellschaftlichen Zusammenbruch oder sogar zum Aussterben der Menschheit führen? Gegenwärtig ist dies ein gefährlich wenig erforschtes Thema“, konstatierte ein renommiertes Forschungsteam 2022 im Paper mit dem Titel „Climate Endgame“.[1] Von diesem Paper, von dieser eigentlich ungeheuren Fragestellung ausgehend haben wir in einem Kooperationsprojekt des Instituts für Klimatologie und Meteorologie der Leibniz Universität Hannover und der Abteilung Soziale Arbeit der Hochschule Hannover daran gearbeitet, uns in entsprechende Zukunftsdiskurse einzumischen.

Über ein Jahr hinweg konnten wir mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungsformaten mit Fragen der Klimakommunikation experimentieren, haben Filmgespräche und Workshops organisiert, bei spontanen Gesprächen an der Feuertonne über brennende Fragen unserer Zeit diskutiert und monatlich im „Endspiel-Salon“ einen Raum geöffnet für den Austausch zwischen Wissenschaft, Aktivismus und Medienwelt.

Zum Ende unseres Projektes veröffentlichen wir diesen Sammelband und die Website www.klima-kollaps-kommunikation.de mit weiterer Inspiration zur Thematik. Die Beiträge führen hinein in eine Vielfalt der Perspektiven auf das Climate Endgame. Diese Vielfalt darf irritieren, soll inspirieren und den Endgame-Zukunftsdiskurs weiter aufspannen, sie stellt aber trotzdem nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesprächsraum dar. Uns ist bewusst, dass insbesondere Perspektiven von Menschen fehlen, die den Zusammenbruch ihrer Welten schon erleben oder gar längst erlebt haben.

Da wir auch als Team aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus gearbeitet haben, beginnen wir mit kurzen individuellen Editorials der Herausgeber*innen.

Editorial von Thomas Köhler

Dem Climate Endgame ohne Scheuklappen begegnen

Als ich 2022 die Zukunftsdiskurse-Ausschreibung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur entdeckte, war mir sofort klar, wofür ich diesen Rahmen gerne nutzen würde: Das kompakte und eigentlich recht spröde „Climate Endgame“-Paper gehörte für mich zu den einschneidenden wissenschaftlichen Leseerlebnissen der letzten Jahre. Hier fand sich extrem nüchtern und umsichtig formuliert eine Frage wieder, die uns im wissenschaftlichen und aktivistischen Feld schon länger umtreibt: Was, wenn die Große Transformation weiter abirrt und der notwendige Wandel nicht mehr gelingt? Wobei ich als alter Marvel-Universe-Freund den Titel dieses Papers besonders ansprechend fand. Ich habe ihn als begeisterter Rezipient der Endgame-Episode schlicht und einfach so verstanden, dass wir uns (wie die Avengers) zwar in einer schwer angeschlagenen, nahezu aussichtslosen Lage befinden – aber gerade in diesem Moment, wenn wir erschöpft und verwundet sind und vieles dafür spricht, einfach aufzugeben, gerade dann das absolut Unwahrscheinliche doch noch versuchen – und schließlich den Kampf gewinnen.

Die Endgame-Agenda besteht dann zunächst einmal darin, der wahrhaft schrecklichen Lage ohne Scheuklappen zu begegnen. Damit ist allerdings noch nichts über eine gelingende Klimakommunikation bzw. für einen erfolgreichen Kampf gegen die fossilistischen Infrastrukturen und Mächte gesagt. Nach meiner Lesart sind alle Formen des Fatalismus, die aus dieser Lagebeschreibung resultieren, verständlich, aber auch gefährlich. Auch jede plumpe Forderung nach Übertragung katastrophischer Szenarien in den Raum der politischen Kommunikation ist zurückzuweisen. Um möglichst viele Menschen für den notwendigen, schnellen und tiefgreifenden Wandel zu gewinnen, gar zu begeistern, braucht es deutlich mehr als Doomsday-Narrative. Aber es ist wichtig, diejenigen, die in Panik oder auch schon in der Erschöpfung sind, die also einen klaren Blick auf die ungeheuren Gefahren eines Massenaussterbeereignisses haben, sehr ernst zu nehmen, sie zu stärken und mit ihnen ko-kreative Modelle des Politischen und der transformativen Bildung zu entwickeln. Das jedenfalls war und ist meine Lesart des Endgame‑Papers.

Übrigens war ich (trotz meiner Cultural-Studies-Erfahrungen) im Projektverlauf immer wieder überrascht, wie viele Leute die Marvel-Endgame-Episode gar nicht kennen oder wie sie eine völlig andere Lesart des Endgame-Papers haben oder es einfach nicht weiter wichtig finden. Aber so ist das mit Lesarten in einer – sagen wir ruhig mal: postmodernen Kultur. Und so ist es auch mit Zukunftsdiskursen in komplexen Gesellschaften. Mit einiger Gewissheit können wir nur sagen, dass sie weiterhin chaotisch und überraschend verlaufen werden. Ich kann mir derzeit, um ein konkretes Beispiel zu nennen, nicht wirklich einen guten Verlauf der politischen Kommunikation in Deutschland vorstellen. Aber das konnte ich bis zu Bidens Kandidaturverzicht für die USA auch nicht und wow, wie rasant hatten sich dort in wenigen Tagen nach seiner Verzichtserklärung die Stimmungslagen positiv verändert. Unser Climate Endgame ist eine brutale, bösartige Konstellation, aber sie ist voller Ungewissheiten und ja, es wird hoffentlich auch noch zu Held*innengeschichten taugen.

Über den Autor

Portrait Thomas Köhler

Thomas Köhler

Editorial von Gunther Seckmeyer

Wo sich Physik und Gesellschaft treffen

Atmosphärenwissenschaftler*innen und Physiker*innen können ihr Wissen des Verständnisses der vom Menschen verursachten Veränderungen der Atmosphäre beschreiben. Sie können auch aufzeigen, welche weiteren dramatischen Veränderungen bevorstehen, wenn sich gewisse wirtschaftliche und gesellschaftliche Trends fortsetzen, bzw. wie eine Welt aussähe, wenn die Menschheit sich unter dem Druck der Veränderungen anders als bisher verhalten würde. Atmosphärenwissenschaftler*innen sind aber zunehmend ratlos bei der Frage, wie die Botschaften an die allgemeine Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft so kommuniziert werden können, dass positive Veränderungen eintreten. Die Beantwortung dieser Kernfrage kann die Physik selbst nicht leisten, sondern dazu wird die Expertise anderer Wissenschaften benötigt. Hier erhoffte ich mir vom Diskurs im Projekt Antworten oder zumindest Ansätze von Antworten, inwieweit eine noch deutlichere Ansprache und Vermittlung der naturwissenschaftlichen Fakten hilfreich sein könnte.

Im Projekt habe ich durchaus viel gelernt, u.a., dass es nicht nur Unterschiede zwischen Natur- und Sozialwissenschaften in der Beantwortung der Frage gibt, was gute Forschung ausmacht, sondern dazu auch sehr verschiedene Vorstellungen innerhalb der Sozialwissenschaften existieren. Während des Projekts habe ich zudem von der Psychologin Dr. Monika Krimmer gelernt, die während unserer Eröffnungsveranstaltung ausführte, dass es schon länger bekannt sei, dass apokalyptische Darstellungen meist nicht zur Veränderung der Verhältnisse führen, sondern Abwehr- und Verdrängungsmechanismen erzeugen. Psycholog*innen halten diese Erkenntnis weiterhin für richtig, aber sie sehen gleichfalls, dass es ohne die Vermittlung der Dramatik der Situation auch zu keinem Handeln kommt. Am Ende sei es wohl so, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Ansprachen benötigen, was zumindest eine Teilantwort auf die Kernfrage sein könnte. Damit verbunden ist die Einsicht, dass es die eine allgemeingültige Antwort auf die Kernfrage vielleicht gar nicht gibt.

Die vorliegenden Beiträge vermitteln einen Eindruck davon, warum es schwierig ist, in der für das Überleben der Menschheit so entscheidenden Frage der Veränderungen des Klimas eine Brücke von den Naturwissenschaften zu den Sozialwissenschaften zu schlagen. Ob es tatsächlich zu einem Kollaps der Zivilisation kommt, ist aus naturwissenschaftlich-technischer Sicht offen und im Gegensatz zu den den Diskurs häufig dominierenden Sichtweisen nicht ausgemacht. Ob und wie die notwendigen Veränderungen gesellschaftlich möglich sind, diese Frage müsste auf der Basis von naturwissenschaftlichem Wissen erst noch beantwortet werden. Dafür müssten auch Konzepte entwickelt werden, wie das Allgemeinwohl gegenüber kurzfristigen wirtschaftlichen Partikularinteressen durchgesetzt werden könnte. Auch wenn die oben beschriebene Kernfrage weitgehend unbeantwortet bleibt, empfehle ich die einzelnen Buchbeiträge zu lesen, weil sie den eigenen Horizont sehr erweitern.

Über den Autor

Portrait Gunther Seckmeyer

Gunther Seckmeyer

Editorial von Gerriet Schwen

Wie wirkt realistische Klimakommunikation?

Mich hat in den letzten zwölf Monaten vor allem die Frage bewegt: Wie können katastrophale Szenarien zu realistischer sowie motivierender Klimakommunikation beitragen? Dabei geht es mir nicht um Panikmache und auch nicht darum, konstruktive Kommunikation abzuschaffen. Es geht mir darum, auf wissenschaftlicher Grundlage zu irritieren und zu schockieren, und zwar auf eine Art, die aus dem Alltagstrott herausreißt und eine tiefere Entschlossenheit weckt, das zu tun, was jetzt wirklich sinnvoll ist. In diesem Sinne ruft die Politikwissenschaftlerin Eva Marlene Hausteiner dazu auf, mehr Dystopie zu wagen: „Die Einsicht darüber, wie eine dystopische Zukunft realistisch aussehen könnte, soll einen politischen und gesellschaftlichen Lernprozess anstoßen.“[2] Also: Hilft ein ungeschönter Blick auf die Lage, um Handeln für die bestmögliche Zukunft anzustoßen? Kann die Aussicht auf das Schlimmste das Beste in uns hervorrufen?

Im öffentlichen Diskurs werden dystopische Szenarien kaum angemessen thematisiert. Dies beginnt bereits in einer tendenziellen Untertreibung seitens der Klimawissenschaft, die dadurch oftmals ein zu optimistisches Bild vermittelt, wie Wolfgang Knorr in seinem Beitrag ausführt. Ein Beispiel dafür: Der Weltklimarat IPCC simuliert verschiedene Zukunftsentwicklungen – bisher entsprechen die historischen Emissionen jedoch am ehesten dem schlimmsten Szenario. Dabei erfordert ein rationales Risikomanagement, selbst unwahrscheinliche Worst-Case-Szenarien zu diskutieren, wenn diese so gravierende Folgen wie den Zusammenbruch unserer Gesellschaft oder das Aussterben der Menschheit haben könnten – wie z.B. das Forschungsteam hinter dem „Climate Endgame“-Paper darlegt, das wir hier erstmals auf Deutsch veröffentlichen.

Eine weitere Hürde für effektive Klimakommunikation ist die Annahme, um seriös zu sein, muss ohne Gefühle kommuniziert werden. Journalist*innen von The Guardian haben in einer beeindruckenden Umfrage unter 380 Top-Klimawissenschaftler*innen herausgefunden: Viele haben Angst.[3] Doch Gefühle haben in der Wissenschaftskommunikation, so scheint es, weiterhin kaum bis keinen Platz – und das, obwohl psychologische Studien belegen: Was wir wissen, also mit dem Verstand begriffen haben, hat kaum Einfluss auf unser Verhalten.[4] Daher bin ich überzeugt: Um tiefgreifende Veränderungen anzustoßen, braucht es Kommunikation, die berührt. In unserer Veranstaltungsreihe haben wir deutlich gemerkt, dass es neben den Fragen danach, was und wie wir kommunizieren, auch auf die Kapazität derer ankommt, welche die Informationen aufnehmen sollen. Denn sich mit katastrophalen Zukunftsperspektiven zu beschäftigen – und sie wirklich an sich heranzulassen –, braucht emotionale Kapazität.

Sollen wir sagen, wie schlimm es ist? Dabei muss ich immer wieder an die Szene im Film Matrix denken, in der Neo sich entscheiden muss: Die rote Pille reißt ihn aus seiner Illusion, er erwacht in einer harten Realität – es ist kalt, dunkel und gefährlich, aber erst nachdem er die Realität erkannt hat, kann er sie verändern. Das ist nicht leicht, aber es gibt ihm Sinn. Die blaue Pille hingegen lässt ihn wieder vergessen und in seinen Alltagstrott zurückkehren.

Wahrscheinlich erwartet uns kein heldenhafter Doomsday im Blockbuster-Stil der Marvel-Filme. Der schleichende Zerfall, so der Ökonom Matthias Zeeb im Interview für diese Publikation, hat längst begonnen: Arten sterben aus, Ressourcen werden knapper, soziale Spannungen nehmen zu.

Im deutschsprachigen Diskurs fehlt jedoch noch häufig die Einsicht, dass wir gegenwärtig auf eine Katastrophe zusteuern. Um die Auseinandersetzung mit Kollaps nicht dem rechten Spektrum zu überlassen, müssen wir uns als Gesellschaft radikal ehrlich die Frage stellen: Wie machen wir das Beste aus unserer Lage? Wo können wir noch Landschaften, Systeme und Leben schützen, wo können wir uns anpassen und: Wo macht es Sinn, uns solidarisch vorzubereiten, wenn Klimaschutz und -anpassung uns nicht vor kommendem Chaos bewahren? 

Solidarität basiert auf Vorbereitung, denn im Zweifelsfall kann helfen, wer versorgt und fähig ist. Solidarisch vorbereitet zu sein wird sich nicht zuletzt an inneren Kompetenzen zeigen: in Flexibilität und Stabilität angesichts zunehmender Spannungen nicht am Rad zu drehen, in Klarheit darüber, was wichtig ist; und in sozialen Fähigkeiten, zum Beispiel darin, auch unter Druck gemeinsam gute Entscheidungen treffen zu können. 

Für die Entschlossenheit angesichts der Katastrophe alles Mögliche zu tun – um es zur bestmöglichen Katastrophe zu machen, oder zumindest, um schöner zu scheitern – brauchen wir ein anderes Verständnis von Hoffnung. Václav Havel, Wegbereiter der tschechoslowakischen Revolution in den 1970er und 80er Jahren, fand dafür die treffenden Worte: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“

Über den Autor

Portrait Gerriet Schwen

Gerriet Schwen

Editorial von Theresa Leisgang

Wie sprechen wir über eine Welt, die zerfällt?

Als Journalistin bin ich davon überzeugt: Geschichten prägen unser Weltbild. Das Geschichtenerzählen ist, was uns Menschen ausmacht, was uns von der Rotbuche und der Tigermücke unterscheidet. Wir geben Wirbelstürmen Namen, dem Wirtschaftswachstum das Label „erstrebenswert“, einer gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörung der Welt den Titel „RCP 8.5“: Momentan stoßen die Industrienationen so viele Emissionen aus, dass wir uns auf dem Weg in eine Welt befinden, in der wir uns mehr und mehr mit eingeschleppten Tropenkrankheiten, Wasserschäden nach Extremwettern und unserer Überforderung im Angesicht von Tod und Sterben beschäftigen müssen statt mit den schönen Dingen des Lebens. Der Weltklimarat nennt diesen Pfad nüchtern den „repräsentativen Konzentrationspfad 8.5“, einige der renommiertesten Forschenden sagen: Wir befinden uns im Climate Endgame. Alles steht auf dem Spiel.

Es stellt sich also die Frage: Wie sprechen wir über eine Welt, die zerfällt? Ein Blick in die Geschichte zeigt, welch enorme Wirkung sprachliche Bilder wie „Silent Spring“, „Waldsterben“ oder „Nuklearer Winter“ entfalten können. Die Wortschöpfung „Nuklearer Winter“ zeichnete in den 1960er-Jahren ein düsteres Bild: kalt, dunkel, gefährlich. Um dieses Szenario zu verhindern, taten sich Menschen zu einer der größten sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit zusammen.

Angesichts kollabierender Ökosysteme, heftiger Extremwetter und zunehmend polarisierender Debatten stellt sich nun die Frage: Welche Geschichte erzählen wir uns über unsere Zeit?

Journalistische Medien schaffen es seit Jahrzehnten nicht, Ausmaß und Dringlichkeit der Klimakrise angemessen zu kommunizieren. Es fehlt Redaktionen bis heute an Wissen, strategischer Ausrichtung und klarer Haltung gegen die Desinformationskampagnen der fossilen Lobby. In der Debatte dominieren deshalb zwei Positionen, wenn es um die ökologischen Krisen in der Welt geht: Verdrängung und irrationaler Optimismus. Im Februar 2024 erreichte uns die Meldung, die globale Durchschnittstemperatur habe erstmals 12 Monate in Folge 1,5°C mehr betragen als in der vorindustriellen Zeit. Damit ist die 1,5-Grad-Grenze massiv in Frage gestellt. Ein Aufschrei oder eine gesellschaftliche Debatte blieb aus – und das, obwohl seit dem Klimaabkommen von 2015 der Slogan „Wir alle für 1,5 Grad!“ von einem breiten Spektrum an Akteur*innen getragen wurde, von Anzugträgern in Paris bis zu radikalen Aktivistinnen in Lützerath.

Nun versammeln wir in diesem Buch erstmals deutschsprachige Beiträge aus Wissenschaft, Aktivismus und Journalismus, die sich mit einer Welt jenseits von 1,5 Grad beschäftigen. Dieser Diskurs ist im englischsprachigen Raum schon viel lebendiger. In Frankreich gibt es eine ganze Bewegung der Collapsologie, während im Deutschen bisher überhaupt die Worte fehlen, um unsere Situation adäquat zu beschreiben. Viel passender als Klimakrise, Klimawandel, Klimanotfall erscheint etwa der englische Term ‚climate predicament‘, den Aktivist und Autor Andrew Boyd verwendet. Er macht in seinem Beitrag deutlich, dass es sich nicht um ein „Problem“ oder eine Krise handelt, die etwa allein durch technische Lösungen behoben werden könne. Wir stecken in einem Dilemma. Philosoph Báyó Akómoláfé schreibt: „Könnte es sein, dass die Art, wie wir auf die Krise reagieren, Teil jener Krise ist?“. Allein die Emissionen radikal zu reduzieren wird nicht mehr reichen, um alles Leid zu verhindern. Wir sind mit einer ökologischen, gesellschaftlichen, ja auch spirituellen Krise konfrontiert. 

Was würde also passieren, wenn wir uns vom „Wir schaffen das“-Narrativ verabschiedeten? Wenn wir den Fokus nicht nur auf Klimaschutz richten, sondern gleichzeitig anerkennen, dass wir lernen müssen, uns anzupassen? Die Beiträge in den Kapiteln „Climate Endgame erleben“ und „Climate Endgame navigieren“ sollen hier Orientierung geben. Mich inspirieren Stimmen wie die von Kübra Gümüşay und Heike Pourian am meisten, die anerkennen: Wir leben in einer realen Dystopie. Aber wie wir uns in dieser Welt bewegen, macht einen Unterschied. Um aktiv die Welt zu gestalten, müssen wir wieder wahrnehmen, wie es uns geht.

Vielleicht ist genau jetzt der beste Moment, einmal aus der Schnelligkeit des Alltags auszusteigen. Auszuatmen … die To-Do-Liste zur Seite zu legen … Leer zu werden …

… und dich nach einem Moment Stille zu fragen: Wie fühle ich mich gerade, wo ich dieses Buch in der Hand halte? Was bräuchte es, damit ich mich wirklich einlassen kann auf die Perspektiven, die ich hier über Klima, Kollaps und Kommunikation finde?

Ich habe in den letzten Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, mich nicht allein diesen Themen zu stellen, und deshalb verschiedenste Gesprächsformate entwickelt, mich Lesegruppen angeschlossen, Ritualräume gestaltet, zu einem Online-„Endspiel-Salon“ eingeladen. Ich bin gespannt zu hören, ob die Beiträge in diesem Buch es schaffen, einen Zukunftsdiskurs anregen, der nicht deprimiert, sondern inspiriert.

Über die Autorin

Portrait Theresa Leisgang

Theresa Leisgang

  1. 1

    Vgl. Kemp, Luke et al. (2022): „Climate Endgame: Exploring Catastrophic Climate Change Scenarios“, in: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 119, 34; erstmals in deutscher Übersetzung in unserer Publikation: https://klima-kollaps-kommunikation.de/beitraege/climate-endgame

  2. 2

    Hausteiner, Eva Marlene (2020): „Mehr Dystopie wagen? Zukunftsperspektiven einer politiktheoretischen Zukunftsforschung“, in: ZPTh – Zeitschrift für Politische Theorie 1, S. 31–40, hier: S. 33. https://doi.org/10.3224/zpth.v11i1.03.

  3. 3

    Vgl. Carrington, Damian (2020): „Hopeless and Broken: Why the Worlds Top Climate Scientists Are in Despair“, in: The Guardian [08.05.2020]. https://www.theguardian.com/environment/ng-interactive/2024/may/08/hopeless-and-broken-why-the-worlds-top-climate-scientists-are-in-despair.

  4. 4

    Vgl. Vlasceanu, Madalina et al. (2024): „Addressing Climate Change With Behavioral Science: A Global Intervention Tournament in 63 Countries“, in: Science Advances 10, 6, eadj5778. https://doi.org/10.1126/sciadv.adj5778.