Ein Essay von Tadzio Müller
Klimakommunikation ohne Verdrängungsbullshit
Aufwachen im Klimabullshit
6:27, 23. August 2024: ein tendenziell zu feuchter Sommer neigt sich dem Ende zu. Ein Sommer, der zwar hierzulande nicht der befürchtete Hitzesommer war, der aber trotzdem jeden Abend via Tagesschau neue klimabedingte Extremwetterkatastrophen in unsere Wohnzimmer brachte, in dem wieder unzählige „deutsche Urlaubsinseln“ brannten, in dem Hitzewellen in Indien, Pakistan, Westafrika und den Amerikas der Welt langsam zeigen, was „Erderhitzung“ wirklich bedeutet. Ich bin gerade am Aufwachen, und der Deutschlandfunk, jenes Lokalradio bildungsbürgerlicher Meinungseliten, bringt einen „Thementag Klimaschutz“.[1]
On the face of it erstmal ne gute Sache. Mehr Klimaberichterstattung müsste Menschen ja mehr über das Thema aufklären, und so – sollte man meinen – einen Weg zu rationalerer Klimapolitik, gar zu effektivem Klimaschutz ebnen. Dann höre ich aber genauer hin, und stehe sofort senkrecht im Bett: was sagen die da? Sowohl in Deutschland, als auch global, gäbe es eine „Trendwende“ bei der Emissionsentwicklung und beim Klimaschutz.
Hang on a second: Trendwende bei der Emissionsentwicklung? Das kann aber nicht sein, denn 2023 wurden mehr fossile Brennstoffe verbrannt, als jemals zuvor.[2] Bei genauerem Hinhören und -schauen finde ich noch mehr Halb- und Unwahrheiten: direkt darunter steht die Headline „(Klimaschutz) wäre so einfach – wir wollen bloß nicht“. Wie bitte? Die fundamentale, post-fossile und post-wachstums-Transformation unserer Gesellschaft „wäre so einfach“? In welcher Realität bitte stimmt diese Aussage? Und ein Bisschen weiter unten steht dann noch: die Energiewende sei „sehr erfolgreich“, und der „Trend“ sei „gut“ – ja, Deutschland baut erneuerbare Energien aus, das elektrokapitalistische Wachstumsprogramm lenkt allerdings davon ab, dass Deutschland statt „Klimaschutz“ weiter fossile Energieinfrastruktur ausbaut …
Geballte Klimadesinformation am frühen Morgen, nicht in der Welt oder einer anderen rechten Propagandaschleuder, sondern: im DLF. Und was steckt dahinter? In den sozialen Medien wird meine geharnischte Kritik am „Thementag“ sofort zurechtgewiesen. Eins schreibt, „dass (der) Deutschlandfunk auch motivieren will und deswegen versucht gute Entwicklungen und Positives zu benennen, um die Verdrängungsgesellschaft nicht vollends abzuschrecken. Ich brauche auch manchmal positive vibes.”[3]
Und darin liegt … des Dackels Essenz: was brauchen wir mehr in der Klimakommunikation – Fakten und Wahrheiten, oder Optimismus und gute Vibes? Ist die Frage, so gestellt, überhaupt die richtige? Und gibt es vielleicht einen ebenso rationalen wie optimistischen Weg zwischen der Scylla der Verdrängung, und der Charybdis der Depression?
Wahrheit oder Pitch?
„Wie kommunizieren wir am besten übers Klima?“ Seit Jahren stellen sich Klima-Wissenschaftler*innen, -Aktivist*innen und -Journalist*innen immer wieder dieselben Fragen: sollte Klimakommunikation ermutigend oder beängstigend sein, realistisch oder optimistisch, rational oder emotional?
Der Grund für dieses ständige kommunikative Selbsthinterfragen liegt vereinfacht gesagt darin, dass nichts von dem, was bisher gesagt wurde, zu relevantem Klimaschutz in den trägen fossilkapitalistischen Externalisierungsdemokratien[4] des globalen Nordens führte: es wurde basically auf die Klimafrage geschissen, kein mehrheitsfähiger gesellschaftlicher Akteur nahm das Thema wirklich auf, und alles in allem wurde diese überlebensbedrohende „Krise“ weitgehend … verdrängt. Egal, wie wir es framten, egal, ob Zuckerbrot oder Peitsche, ob „ist alles ökonomisch win-win“, oder „WE'RE ALL GONNA DIE!!!“, nix verfing, nix führte zu einem Nettoanstieg gesellschaftlich rationalen Handelns in der Klimafrage – und Emissionen steigen weiter.
Dabei lag eine Theorie des klimakommunikativen Handelns doch eigentlich vor: beim Rio-Erdgipfel 1992 hatten sich die großen Ökoorganisationen implizit auf eine Art dauerpositiven Zwangsoptimismus geeinigt, der immer die realen Kosten einer Klimatransformation unter-, und die kurzfristigen Benefits überschätzte. Denn man könne den Menschen ja keine negativen Gefühlszustände zumuten, die würden sich dann von der Klimafrage abwenden.
Eine Minderheitenposition[5] in der Klimakommunikation argumentierte dagegen, dass es erstens nicht stimme, dass „negative“ Kommunikation immer demobilisierend wirke, und es einer aufklärerischen Ökolinken nunmal gut zu Gesicht stünde, realistisch die Fakten zu kommunizieren, und wenn das mit Handlungsvorschlägen verknüpft würde, wäre es in fact mobilisierend, statt demobilisierend.[6]
Tatsächlich sind weder zwangsoptimistische, noch faktenbasiert-hyperrealistische Klimakommunikation im politischen und Mobilisierungssinne besonders effektiv.
Erstere hat den Nachteil, inhaltlicher Bullshit, „postfaktisch“, oder halt einfach gelogen zu sein, was ihre klimapolitische Nützlichkeit drastisch reduziert, gar ins Negative verkehrt: wenn Menschen immer hören, dass das mit dem Klima ein Klacks sei, mit links zu machen, und immer win-win, dann werden sie die tatsächlich notwendigen klimapolitischen Schritte ablehnen, die weder ein Klacks, noch mit links zu machen, noch win-win sind.
Letztere hat zwar den epistemologischen Vorteil, wahr zu sein, und den politischen Vorteil, den Menschen keinen Scheiß zu erzählen, aber den großen Nachteil, nicht so attraktiv zu sein, wie der „Hopium“-Diskurs der Zwangsoptimist*innen: wenn Realitäten unangenehm sind, das haben die Optimist*innen vor einigen Jahrzehnten richtig verstanden, werden sie verdrängt. Was nur negativ stimmt, wird verdrängt. Und der Kollaps ist nunmal eine ziemlich unangenehme Realität, also werden Wahrheiten über ihn verdrängt, egal, wie gut, ruhig und rational sie auch vorgebracht werden.
Reality Check I: Klimakollaps und fossile Expansion
Fakten mögen in der politischen Kommunikation nicht besonders gewichtig sein, wichtig sind sie für progressive Positionen allemal (die Rechte hat's da einfacher), also sollten wir ein paar Fakten zum Klimakollaps nochmal kurz rekapitulieren.
Wir schreiben das Jahr 2024, und das mit dem Klima knallt so richtig.
Vor acht Jahren wurde das angeblich epochale Paris Agreement unterzeichnet, vor sechs Jahren „der Hambi“ verteidigt, vor drei Jahren traf eine mörderische „Jahrhunderflut“ (oh, the irony!) das westdeutsche Ahrtal, und tötete fast 200 Menschen. 2023 stellte nicht nur jeder Monat seit Mai neue Temperaturrekorde auf, war der jeweils heißeste Monat seiner Art seit Beginn der Aufzeichnungen, es war auch das Jahr, in dem die neuen Temperaturrekorde so weit über den alten Rekorden lagen, dass ein amerikanischer Klimawissenschaftler sie als „absolutely gobsmackingly bananas“ beschrieb.[7]
Entweder sind wir also schon mitten im Klimakollaps – kein einzelnes historisches Ereignis wie zum Beispiel „der Mauerfall“, sondern eine Periode des Übergangs, eine Periode des klimatischen Chaos[8] – oder wir stehen sehr kurz davor. Gleichzeitig gibt es keine realistischen politischen Pfade, auf denen die globale Wirtschaftsleistung so weit heruntergefahren werden könnte, dass innerhalb der nächsten Jahre die einhundertprozentige Emissionsreduktion möglich würde, die das Klima zur Stabilisierung bräuchte.
Der Kollaps ist also entweder schon da, oder er steht so kurz bevor, dass er nicht mehr realistischerweise (sowohl im physikalischen wie politischen Sinne) abzuwenden ist – und wir unternehmen auch keinerlei Anstrengungen in diese Richtung: 2024 werden zwar erneuerbare Energien (fast) überall auf der Welt ausgebaut, ebenso werden aber auch allüberall auf der Welt fossile Energiekapazitäten erweitert: 2023 erreichte deren Nutzung sogar ein neues weltweites Allzeithoch.[9] Europa baute in den vergangenen 10-15 Jahren eine nigelnagelneue Infrastruktur, um darin die nächsten 50 Jahre u.a. gefracktes US-amerikanisches Flüssigerdgas zu verbrennen.[10]
Reality Check II: Verdrängtes Scheitern
Wir schreiben das Jahr 2024, und wenn wir als Gesellschaft übers Klima reden, bescheißen wir uns eigentlich nur selbst.
Es gibt zum Beispiel diese internationalen „Klimagipfel“, wo zum Jahresende immer eine riesige Klima-Jamboree stattfindet, die uns die Möglichkeit gibt, so zu tun, als würde dort tatsächlich „Klimaschutz“ vorangetrieben, also die globale, nachhaltige, gerechte Reduktion von Treibhausgasemissionen verhandelt. Im besten Falle wird kritisiert, zum Beispiel im Vorfeld der diesjährigen COP29 in der fossilen Diktatur Azerbaidschan, dass manche Klimagipfel in fossilen Diktaturen stattfinden. Ausgelassen wird meist aber die Tatsache, dass auch schon die letzten 28 internationalen Klimagipfel keinen messbaren Klimaschutz produziert haben – sondern Emissionen einfach weiter gestiegen sind.
Andererseits gibt es dann „Wachstumspakete“, „Wachstumsinitiativen“ und sogar manche „Klimapakete“, in denen es vor allem um Wachstum geht, wie den „Inflation Reduction Act“ der Biden Regierung, und es scheint allgemein klar, dass „wir“ natürlich „Wachstum“ wollen, weil, dann gibt’s mehr Jobs, mehr Profite, mehr Steuern, and everybody everywhere is happy. Was dann meistens nicht mitdiskutiert wird, ist die seit Beginn des Kapitalismus unverrückbare Tatsache, dass Wirtschaftswachstum den Planeten zerstört, und es kein von Ressourcenverbrauch und Klimazerstörung „entkoppeltes“, „grünes“ Wachstum gibt, gar nicht geben kann.[11]
Dazu kommt, dass in den vergangenen 15 Jahren die realen Klimaentwicklungen entweder im „Worst Case“-Bereich der Vorhersagen liegen, oder aber eben jenseits der Worst-Case-Szenarien, wie das 2023 der Fall war. Gleichzeitig wenden die Verdrängungsgesellschaften der reichen Welt sich vom Klimaschutz ab,[12] weil sie gemerkt haben, dass dieser zu teuer, zu anstrengend, zu... unbequem wäre. Dass man zu viel verändern müsste. Dass man keine Lust hat, die Welt mit dem Rest der Welt zu teilen.
Wir schreiben das Jahr 2024, und ich muss mich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob wir den Leuten, anstatt sie zu bescheißen, wirklich die Wahrheit über die Unvermeidbarkeit der Klimakatastrophe sagen sollten. Im Grunde ist die Frage an sich schon ein Unding im Kontext einer Bewegung, die immer wieder „Follow the Science“ auf Plakate schreibt, und natürlich sollten wir die Menschen, mit denen wir kommunizieren, nicht bescheißen, sondern ihnen die Wahrheit sagen. Obviously.
Nein, nicht offensichtlich. Denn ein Großteil der Klimabewegung, dito ein Großteil des breiteren gesellschaftlichen Klimafeldes, hat sich entschieden, nicht wahrhaftig, sondern strategisch zu kommunizieren. Und warum sagen so viele Klimas anderen (und im Kern: sich selbst) nicht die Wahrheit, reproduzieren stattdessen die Bullshit-Erzählungen, die ich oben kurz erwähnte?
Die häufigste Antwort darauf ist: weil diese diskursiven Klimamoderaten den Menschen keine Angst machen wollen, denn Angst sei demobilisierend (oder stärke nur die Rechten). Und weil Menschen nur im positiven Sinne klimaaktiv würden, wenn sie darin auch eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft spüren können. Erstens geht es also um Angst (schlecht), und zweitens um Hoffnung (gut) – außerdem wird impliziert, dass Menschen noch nicht wissen, wie schlecht es um den Klimaschutz und das Weltklima bestellt ist.
Klimairrationalität: vom Nicht-Wissen-Wollen
Aber sollten wir tatsächlich davon ausgehen, dass die Menschen, mit denen wir über „das Klima“ reden, nicht im Allgemeinen wissen, was Sache ist? Dass es da noch relevante Informationsdefizite gibt, die auszugleichen die Klimaagenda voranbringen würde? Auf den ersten Blick: Ja. Im Mai dieses Jahres produzierte eine Studie dieses Ergebnis: „Rund 20% der 12- bis 19-jährigen Menschen in Deutschland haben […] noch nie vom Klimawandel gehört. Auch ein Sechstel der Altersgruppe 18 bis 19 könne mit dem Begriff nichts anfangen“.[13]
Der Fehler liegt darin zu glauben, wir hätten es hier mit einem Politikfeld zu tun, in dem wir rational denken und handeln.
Dass wir beim Klima nicht rational, sondern zutiefst irrational handeln, sollte durch die einfache Tatsache belegbar sein, dass mitten in der eskalierenden Klimakatastrophe eine von der stärksten grünen Partei der Welt mitgeführte Regierung fleißig fossile Infrastrukturen ausbaut; oder an der Art und Weise, wie manche Autowahnsinnige auf die Klebeblockaden der Letzten Generation reagierten.[14] Dass wir seit mindestens 35 Jahren über den „Klimawandel“ und über „Klimaschutz“ sprechen, mehrheitlich sagen, dass wir das Klima schützen wollen, aber trotzdem genau das Gegenteil machen, als Individuen, wie als Gesellschaft.
"Was brauchen wir mehr in der Klimakommunikation – Fakten und Wahrheiten, oder Optimismus und gute Vibes?" – Tadzio Müller
Wenn es stimmt, dass wir uns in einem irrationalen Politikfeld befinden, dann können wir auch das was Menschen behaupten zu wissen, zu wollen und zu tun nicht unhinterfragt für bare Münze nehmen. Gedankenspiel: fragt doch mal einen „abusive boyfriend“, ob er es gut findet, dass er seine*n Partner*in schlägt, und ob er damit aufhören will, und die allerallermeisten von ihnen werden natürlich sagen, dass sie damit aufhören wollen, sie werden Euch vermutlich sogar sagen, dass sie schon damit aufgehört haben, auch, wenn’s gestern noch ordentlich auf’s Maul gab, als das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch stand. Das war dann halt kein „abuse“, das war nur … eine ökonomisch effiziente Verschiebung kinetischer Energie. Die „abuser“ werden keine realistischen Antworten geben, die werden das sagen, was es ihnen erlaubt, sich am wenigsten schlecht zu fühlen. Und die Aussage „ich weiß nix von Klima“ ist eine, die es einem einfacher erlaubt, durch die Welt zu gehen, ohne sich um die Katastrophe zu sorgen.
Die Aussage bedeutet also nicht, dass diese Menschen wirklich nichts über den Klimawandel wissen – sie bedeutet vielmehr, dass die Menschen das, was sie wissen oder wussten, verdrängt haben, denn Verdrängung stellt das zeitweise löschen, das Verschieben von bewusstem Wissen in einen Raum des Nichtbewusstseins, oder auch, mit Freud, des Unterbewusstseins, dar. Dazu passt auch, dass inmitten der eskalierenden Klimakatastrophe die weltweite „Klimakompetenz“ („climate literacy“) messbar sinkt.[15]
Das, was ich verdrängt habe, wusste ich mal bewusst, weiß es mittlerweile aber nicht mehr bewusst, und kann so, ohne die Interviewerin oder gar mich selbst anzulügen, sagen: „ich weiß es nicht, und habe es nie gewusst“, weil in dem Moment die Suchmaschine meines Hirns nicht auf das Wissen zugreifen kann – da steht dann „file not found“.
Ein wichtiger Effekt: da Verdrängung die Schaffung eines Raums des Nichtwissens darstellt, wo vorher Wissen war, ein Prozess, der selbst energetisch aufwändig ist, steht mir jetzt in meinem Kopf weniger Raum und weniger Energie zur Verfügung. Stellt Euch das rein physikalisch vor: wer mehr weiß, muss auch mehr verdrängen, und dafür mehr Kraft aufwenden – auch die Verhinderung der Wiederkehr des Verdrängten kostet Energie, umso mehr, je mehr ich verdrängen muss. Verdrängung ist also der Prozess der aktiven Selbstverdummung.
Verdrängtes Wissen existiert im Subjekt, wird aber vom Subjekt nicht gewusst.
In einer Verdrängungsgesellschaft wird ehrliche, wird rein faktenbasierte Kommunikation über die Klimakatastrophe daher im besten Fall keine positiven („pushing on a string“ nannte Keynes das), und im schlimmsten Fall erhebliche negative Effekte produzieren, weil das verdrängende Subjekt auf die drohende „Wiederkehr des Verdrängten“ mit Dissoziation, oder mit emotionaler/physischer Gewalt reagiert. Wer jetzt, wie die Versatzstücke dessen, was wir sehr freundlich immer noch „Klimabewegung“ nennen, darauf mit immer mehr Faktenkommunikation reagiert, macht sich des Einstein’schen Wahnsinns schuldig: „immer wieder dasselbe tun, aber …“
Angst fressen nicht immer Seele auf
Aber, hang on a second, heißt das jetzt, dass die Zwangsoptimist*innen Recht haben: dass wir mit den Fakten die Menschen nur verschrecken, und ihnen deshalb Bullshit erzählen sollten? Nein, aber sie haben insofern recht, als sie anfangen, die Fakten in ihrer Geschichte zu diskontieren, und mehr auf die Gefühle zu achten, die das Erzählen einer bestimmten politischen Geschichte auslöst: wie schon Spinoza schrieb, politics is about passion, not about ratio.
Der nächste Claim der Kollapsleugner*innen ist dann aber leider Quatsch: dass „negative Gefühle“ wie zum Beispiel Angst notwendigerweise demobilisierend, gar lähmend wirken. Natürlich habe ich keinerlei psychologische Ausbildung, und würde mir nicht anmaßen, den Forschungsstand im Feld im Detail zu kennen. Aber mit sozialen Bewegungen kenne ich mich sowohl praktisch wie akademisch recht gut aus, und ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass in der Bewegungsforschung, insofern sie sich mit der Frage der relativen strategischen Wirksamkeit verschiedener Arten von Mobilisierungsdiskursen befasst hat, keine Erkenntnisse vorliegen, dass „angstbasierte Narrative“ für Klimaaktivist*innen weniger, oder gar demobilisierend sind, wie der Allgemeinplatz „Angst lähmt“ nahelegt.[16] Bekannt ist stattdessen: „Emotionen (können) sowohl mobilisierend als auch demobilisierend wirken, je nachdem gegen wen oder was sie gerichtet werden.“[17] Ob eine Angst lähmend oder aktivierend wirkt, lässt sich nicht daraus ableiten, dass man sagt: „Emotion X führt immer zu Reaktion Y“, sondern der Kontext muss mitgedacht werden: Fürchte ich mich für mich selbst, oder für andere? Bestehen effektive Handlungsoptionen? Ist die Angst vereinzelnd, oder kollektivierend? Die Gleichung ist also nicht Angst => Lähmung, sondern Angst + Stand der Handlungsoptionen => breite Diversität von Outcomes (weil die möglichen Kombinationen ins Unendliche steigen).
Synthese: ehrlich, aber hoffnungsvoll...
Es geht also weder einfach darum, eine unvermittelte, katastrophale Realität darzustellen, wie es manche „Doomer“ gerne tun, denn negative Emotion ohne Handlungsoption zieht tatsächlich ziemlich runter; noch darum, sich die Realität schönzusaufen und -reden, denn positive Emotion ohne realistische Handlungsoption ist sowohl Selbstbetrug, als auch Selbstentmächtigung. Es muss darum gehen, eine Klimageschichte zu erzählen, die sowohl ehrlich, als auch hoffnungsvoll ist. Welche die Realität und unser Scheitern darin abbildet, und trotzdem Wege nach vorne zeigt.
Und diese Geschichte beginnt mit Trauerarbeit: Angesichts der verlorenen Zukunft des „immer mehr“ ist Trauer notwendig, um den Klimakollaps überhaupt als Tatsache anzuerkennen, denn erst die emotionale Arbeit der Akzeptanz ermöglicht das rationale Verständnis von Tatsachen als Tatsachen (wenn etwas nicht wahr sein „darf“, wird mein Hirn es auch nicht als wahr verstehen). Und wenn wir erstmal da sind, in der Akzeptanz der neuen Realität, dann wird es möglich, in dieser neuen Realität Handlungsmöglichkeiten zu konstruieren.
Zum Beispiel: Je mehr Klimakatastrophe, desto mehr Wetterkatastrophen, die, wie jede „Naturkatastrophe“, ceteris paribus diejenigen mehr betreffen werden, die am wenigsten dazu beigetragen haben, und diejenigen am ehesten verschonen wird, die am meisten dazu beigetragen haben (vgl. „Umweltgerechtigkeit“). Das betrifft sowohl Hochwasser, wie Hitzewellen, sowohl Tornados, wie Tsunamis. Jede dieser kommenden Katastrophen wird ein Mehr an Ungerechtigkeit produzieren.
Es würde einer Klimagerechtigkeitsbewegung gut zu Gesicht stehen, Handlungsoptionen zu entwickeln, die Selbstwirksamkeit in der Katastrophe ermöglichen. Neue Aktions- und Politikformen, die nicht mehr „nur“ gegen die Katastrophe sind. Wenn unsere Erkenntnisse aus der Bewegungsforschung stimmen, dann müsste das auch dazu führen, dass Menschen von realistischer Klimakommunikation nicht entmutigt und demobilisiert, sondern agitiert werden. Klimagerechtigkeitsaktivismus in der Katastrophe ist im Kern: solidarischer Katastrophenschutz, und innerhalb der Klimabewegung sind wir jetzt schon dabei, genau diese Formate zu entwickeln – sind dabei aber zugegebenermaßen noch ziemlich am Anfang. Und genau da liegt der Weg zwischen Hyperrealismus und Zwangsoptimismus: strategischer Realismus und realistischer Optimismus-in-der-Klimakatastrophe bedeuten, über Katastrophe und Kollaps zu reden, aber den Menschen gleichzeitig aufzuzeigen, dass es auch in der Katastrophe und im Kollaps noch genug zu tun gibt, das ihren Leben Sinn geben und die Welt verbessern kann.
Und so betrachtet, kann ich auch den Kollaps in den Blick nehmen, ohne selbst zu kollabieren.
Lizensierung
Tadzio Müller (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.
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1
Ehring, Georg (2024): „Klimatag 2024: So geht Klimaschutz“, in: Deutschlandradio [23.08.2024]. https://www.deutschlandradio.de/klimatag-2024-100.html.
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2
Millard, Rachel (2024): „Energy Emissions Hit Record High on Rising Fossil Fuel Demand, Says Report“, in: Financial Times [19.06.2024]. https://www.ft.com/content/f0e1f4fa-bc5a-45e9-9257-871dae461e5d.
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3
Bluesky Social-Post von @gono [23.04.2023]. https://bsky.app/profile/gono.bsky.social/post/3l2efz6jp362j.
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4
Lessenich, Stephan (2016): Neben uns die Sintflut: die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Berlin: Hanse.
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5
Müller, Tadzio (2023): „The Hitchhikers’ Guide to Klimakommunikation: Don’t Panic?“, in: Friedliche Sabotage [17.08.2023]. https://steadyhq.com/de/friedlichesabotage/posts/68ce039c-b2a6-495a-8f1c-1716ce3ced88.
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6
Vgl. Poettinger, Lisa (2023): Study on Emotions, Coping, and Behaviours Related to Climate Change. Ludwig-Maximilians-Universität München. https://www.en.envstudies.carsoncenter.uni-muenchen.de/student-broadcasts/short-stories/eco-emotions_and_behaviour/index.html.
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7
Carrington, Damian (2023): „‚Gobsmackingly Bananas‘: Scientists Stunned by Planet’s Record September Heat“, in: The Guardian [05.10.2023] https://www.theguardian.com/environment/2023/oct/05/gobsmackingly-bananas-scientists-stunned-by-planets-record-september-heat. Außerdem: Copernicus (2024): Monthly Climate Bulletin: Warmest January on Record, 12-Month Average Over 1.5°C Above Preindustrial. https://climate.copernicus.eu/warmest-january-record-12-month-average-over-15degc-above-preindustrial.
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8
Summer, Kay/Halpin, Harry (2007): „The Crazy Before the New. Complexity, Critical Instability and the End of Capitalism“, in: Turbulence 1. http://www.turbulence.org.uk/turbulence-1/the-crazy-before-the-new/index.html.
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9
Summer, Kay/Halpin, Harry (2007): „The Crazy Before the New. Complexity, Critical Instability and the End of Capitalism“, in: Turbulence 1. http://www.turbulence.org.uk/turbulence-1/the-crazy-before-the-new/index.html.
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10
Das nach den neuesten Studien von Robert W. Howarth, dem Doyen des Feldes, in keinem Szenario klimafreundlicher genutzt werden kann, als heimische Kohle. Vgl. Schmidt, Tobias (2023): „Mehr CO2 durch LNG: Studie erklärt, dass Flüssiggas viel klimaschädlicher als Kohle ist“, in: SHZ [12.11.2023]. https://www.shz.de/deutschland-welt/schleswig-holstein/klima/artikel/gas-lng-importe-laut-studie-viel-klimaschaedlicher-als-kohle-45897462.
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11
Müller, Tadzio/Kaufmann, Stephan (2009): Grüner Kapitalismus: Klima, Krise, und kein Ende des Wachstums, Berlin: Dietz.
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12
Tasch, Barbara (2024): „Cost of Going Green Sparks Backlash From Europe’s Voters“, in: BBC News [05.06.2024]. https://www.bbc.com/news/articles/c4nneg6252eo.
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13
ZDF (2004): „Schon mal was vom Klimawandel gehört? Studie zum Wissen Jugendlicher“, in: ZDFheute [21.05.2004]. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/klimawandel-jugendliche-studie-100.html.
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14
Müller, Tadzio (2024): „Wie viele Kippen darf ich noch? Umgang mit der Klimakrise“, in: TAZ [25.04.2024]. https://taz.de/Umgang-mit-der-Klimakrise/!6003511/.
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15
Allianz Research (2023): Climate Fatigue. Allianz Climate Literacy Survey 2023. https://www.allianz.com/en/economic_research/insights/publications/specials_fmo/2023_11_29-Climate-Literacy.html.
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16
Lorenzini, Jasmine/Rosset Jan (2023): „Emotions and Climate Strike Participation Among Young and Old Demonstrators“, in: Social Movement Studies 23, S. 39–55. https://doi.org/10.1080/14742837.2023.2178406.
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17
Ledwon, Lea (2016): „Ohne Emotionen keine sozialen Bewegungen“, in: Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte 10: Wahnsinn!, S. 26–29. https://www.frankfurter-hefte.de/ausgabe/wahnsinn/.