Ein Essay von Norbert Prinz
Plädoyer für eine humanistische Kollapspsychologie
Als Gesamtgesellschaft machen wir weiter business as usual – obwohl wir uns durch unsere imperiale Lebensweise die eigene Lebensgrundlage untergraben.[1] Selbst in progressiven Kreisen wird die Möglichkeit eines Zusammenbruchs unserer Gesellschaft vor allem durch Verdrängung beantwortet. Dabei befördern Psychologie und Psychotherapie oftmals diese Tendenz, indem sie „negative Gefühle“ wie Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit als lähmend brandmarken und entsprechen versuchen diese schnell zu überwinden, statt ihnen Raum zu geben.
Was bisher gesellschaftlich wenig diskutiert wurde, sind die Gefahren dieses Vorgehens sowie die Frage: Welche Potentiale liegen in einer aktiven Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen für Einzelne und für die Gesellschaft? Daher zeige ich im Folgenden Gefahren der Verdrängung unangenehmer Gefühle sowie Potentiale der aktiven Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen auf – für und als Einzelne und für uns als Gesellschaft.
Kollaps als wahrscheinlichstes Zukunftsszenario
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Erderhitzung und Artensterben haben bereits ein katastrophales Ausmaß angenommen, während weitere planetare Grenzen überschritten werden.[2] Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass unumkehrbare Kipppunkte bereits überschritten wurden und renommierte Wissenschaftler*innen diskutieren vermehrt katastrophale Szenarien wie den Zusammenbruch unserer Zivilisation oder gar die Auslöschung unserer Menschheit – wenn sich unsere jetzt nicht radikal ändert.[3]
Ein bekanntes Modell zur Vorhersage unserer Zukunft, welches auch nach 40 Jahren kritischer Überprüfungen mit realen Daten immer noch gültig ist, ist das Modell „World3“[4] welches als Grundlage des bekannten Berichtes Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome diente.[5] Die neueste Datenaktualisierung aus dem Jahr 2021 ergab, dass das Wirtschaftswachstum bis etwa 2040 seinen Höhepunkt erreichen und dann rapide zurückgehen wird, wenn keine größeren
Veränderungen beim Ressourcenverbrauch vorgenommen werden. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Uni Hamburg stellte 2023 fest, dass eine vollständige Dekarbonisierung Deutschlands bis 2050 derzeit nicht plausibel ist und der gesellschaftliche Wandel erheblich ehrgeiziger ausfallen müsste.[6]
Unabhängig von Größe oder Komplexität unterlagen praktisch alle Zivilisationen der Vergangenheit dem Schicksal ihres Zusammenbruchs, welcher häufig nur wenige Jahrzehnte umfasste.[7] Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass es sich bei einem gesellschaftlichen Zusammenbruch um einen Prozess handelt, an dessen Ende Grundbedürfnisse wie Wasser, Nahrung, Gesundheit, Energie und Sicherheit für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr durch gesetzlich geregelte Dienstleistungen gewährleistet sein werden. Pablo Servigne, ein bekannter (Anm. der Hrsg.: sowie umstrittener) Vordenker der französischen Kollapsologie-Bewegung geht davon aus, dass ein gesellschaftlicher Zusammenbruch kein einmaliges Ereignis darstellt, sondern ein schleichender Prozess des Zerfalls ist, der zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedliche Auswirkungen haben wird.[8]
Status Quo: Ausblendung von Kollaps-Szenarien in Wissenschaft und Gesellschaft
Der US-amerikanische Autor Dmitry Orlov schrieb bereits 2013, dass jede sinnvolle Diskussion über Kollaps ausgeschlossen scheint und es in fast allen Gesellschaftsbereichen darum gehe, das gegenwärtige System aufrechtzuerhalten. Die Beschäftigung mit Kollaps sei nicht karrierefördernd und werde daher an keiner Universität systematisch erforscht.[9]
Ein Beispiel für kollektive Verdrängung ist ein öffentlicher Brief, in dem über 500 Wissenschaftler*innen aus 30 Ländern vor einem gesellschaftlichen Zusammenbruch warnen.[10] Direkt zur Veröffentlichung im Dezember 2020 wurde in The Guardian und Le Monde dazu einmal berichtet. Trotz der Kernaussage – erst wenn wir Kollaps diskutieren, können wir uns vorbereiten – wurde der Brief international kaum diskutiert und in keinem überregionalen deutschsprachigen Medium erwähnt.
Das Fehlen eines öffentlichen Diskurses und die Tabuisierung des Themas bis hinein in progressive Teile der Gesellschaft führt dazu, dass der Kollaps weiterhin ideologisch vor allem von rechts besetzt wird.[11]
Die Tabuisierung negativer Gefühle
Die Annahme, dass unbeschönigte Klimakommunikation demotiviert, hat eine lange Tradition in der Umweltpsychologie, welche die Grundlagen für die heutige Klimapsychologie gelegt hat: Umweltpsycholog*innen warnen schon lange vehement davor, Informationen über das Klima zu stark zu katastrophisieren. Das Argument: dann sehen sich Menschen nicht mehr in der Lage, überhaupt noch einen Beitrag zu leisten und verfallen ihrer Angst bzw. in Fatalismus. Dies wird beispielsweise im „Handbuch der Psychologie im Umweltschutz“ deutlich.[12]
Es ist wohl kein Zufall, dass der deutsche Wikipedia-Eintrag zur Ohnmacht in der Psychologie nur die negativen Folgen von Ohnmachtserleben erwähnt und die weit wahrscheinlicheren Möglichkeiten einer positiven Überwindung komplett ignoriert.[13] Dabei zeigen Studien zum Posttraumatischen Wachstum, dass 60 – 80 Prozent der Menschen, die eine tiefgreifende Krise durchlebt haben, dadurch langfristig zufriedener und stärker geworden sind, unabhängig davon, ob diese Krisen real erlebt wurden oder in der eigenen Vorstellung existieren.[14]
In einer Metastudie zu Angstappellen schlussfolgern die Autor*innen um Melanie B. Tannenbaum, dass a) Angstappelle wirksam sind, um Einstellung, Absichten und Verhaltensweisen positiv zu beeinflussen; b) es nur sehr wenige Umstände gibt, unter denen sie nicht wirksam sind; und c) es keine identifizierten Umstände gibt, unter denen sie nach hinten losgehen und zu unerwünschten Ergebnissen führen.[15]
Die Ignoranz von Erkenntnissen, die den vorherrschenden Zwangsoptimismus in Frage stellen, und das Fehlen eines echten Diskurses in Bezug auf wirksame Klimakommunikation wirft viele Fragen auf und lässt sich rational kaum erklären. Es scheint offensichtlich nicht das Ziel klimapsychologischer Initiativen zu sein, Menschen dazu zu befähigen, die Realität möglichst umfassend wahrzunehmen, starke Gefühle auszuhalten und daran zu wachsen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Priorität auf der Herstellung von Selbstwirksamkeit, Hoffnung und individuellem Wohlbefinden liegt.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Anfang 2023 erschienenen Medienleitfaden-Klima der Psychologists for Future (Psy4F). Darin schrieben die Autor*innen: „Gerade Hilflosigkeit und Ohnmacht sind „Sorgenkinder“ der emotionalen Bandbreite […] da sie weitere ungünstige Verarbeitungsstrategien wie z.B. Lähmung und Inaktivität oder Radikalisierung begünstigen.“[16] Diese Narrative wirken stark in die Gesellschaft hinein, werden allerdings kaum hinterfragt. Beispielsweise stellen die Autor*innen des Artikels „Wider die Reproduktion neoliberaler Ideologien in der Umwelt- und Sozialpsychologie“ in dem im August 2024 erschienen Buch Kritische Umweltpsychologie fest, dass die Fokussierung auf psychologische Hürden auf zahlreichen stillschweigenden Annahmen beruht, die eher ideologisch als empirischer Natur sind.[17]
In der Konsequenz werden Menschen, die nicht mehr daran glauben, dass wir die katastrophalen Folgen unserer Lebensweise noch verhindern können, zwangsläufig ausgegrenzt, als Alarmisten*innen oder Untergangsprophet*innen diffamiert und als Überbringer*innen unangenehmer Botschaften quasi zu Täter*innen erklärt. In seinem Buch Propagandaschlacht ums Klima geht der Klimawissenschaftler Michael E. Mann sogar so weit, sie als Lobbyist*innen der fossilen Unternehmen darzustellen.[18] Stattdessen braucht es in einer kollabierenden Welt jetzt Menschen die sich vorbereiten um für Solidarität und Gerechtigkeit zu kämpfen.[19] Fatalismus besteht im hingegen darin, Menschen die sich auf verschiedenen Ebenen auf die kommenden Krisen vorzubereiten von vorne herein auszuschließen und das Feld allein rechten Preppern, Reichsbürgern und Faschisten zu überlassen.
Der Umweltaktivist Derrick Jensen schrieb bereits 2006, dass es unsere „falschen Hoffnungen“ sind, die uns an das System gekettet halten, welches unsere Lebensgrundlagen zerstört,[20] und auch die Psychologin Steffi Bednarek weist darauf hin, dass Hoffnung zu einem Abwehrmechanismus geworden ist, der hohe Kosten mit sich bringt.[21] Es ist eine der größten Herausforderungen differenziert herauszuarbeiten, an welcher Stelle Hoffnung angemessen ist, wo sie eine Form der Realitätsverweigerung darstellt und wo tatsächlich noch realistische Handlungsmöglichkeiten bestehen.
Der dänische Autor und Kulturwissenschaftler Mikkel Krause Frantzen beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Politik und Psychopathologien der Gegenwart. In seinem Essay beschäftigt er sich vor allem mit Depressionen. Seine Analyse lässt sich aber nach meinem Empfinden auch auf den Bereich der „Klimagefühle“ anwenden. Er schreibt dazu: „Die Wichtigkeit, zu einem politischen Verständnis von Depression zu gelangen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. […] Folglich muss jede Heilung des Depressionsproblems eine kollektive, politische Form annehmen; statt das Problem der psychischen Krankheit zu individualisieren, ist es zwingend notwendig, die Individualisierung der psychischen Krankheit zu problematisieren.“[22]
Der Autor Matthias Becker schreibt, dass die Psy4F reale Machtlosigkeit als Fehlinterpretation und Hemmung umdeuten und Individuen durch ihr Engagement das kollektive Versagen quasi kompensieren sollen.[23] Diese Individualisierung gesellschaftlicher Missstände ist einerseits ein wesentliches Element neoliberaler Ideologie, andererseits stehen gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse und Einschränkungen der Wahrnehmung bestimmter Gefühle und Bedürfnisse in einem engen Zusammenhang.
Das französische Observatoire des Vecus du Collapse kommt in seiner nationalen Umfrage von 2019 zu dem Schluss, dass die Vorstellung eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs die Menschen optimistisch und aktiv gemacht hat und, dass es möglich ist, sich – statt einer Apokalypse – ein Leben nach dem Zusammenbruch vorzustellen.[24] Untersuchungen im englischsprachigen Deep-Adaptation-Netzwerk kommen zu ähnlichen Ergebnissen.[25] Außerdem habe ich selbst an unzähligen Treffen des Klima-Kollaps Cafés teilgenommen und die Einschätzung entspricht meinen Erfahrungen: Das Klima-Kollaps Café ist ein Raum, in dem sich Menschen zusammenfinden, die einen gesellschaftlichen Zusammenbruch infolge der Polykrisen für das wahrscheinlichste Zukunftsszenario halten und sich darauf emotional, wie auch praktisch vorbereiten möchten. Dabei ist es den Teilnehmenden besonders wichtig, dass dies auf Grundlage demokratischer, aufklärerischer und solidarischer Werte basiert.[26] Viele Teilnehmende berichten davon, dass sie während ihrer emotionalen Auseinandersetzung mit den multiplen Krisen erst durch ein „tiefes Tal“ gegangen sind und teilweise auch psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen mussten. An einem bestimmten Punkt erlebten sie dann aber einen Zustand der Akzeptanz und inneren Befreiung. Dieser Zustand wird in dieser Gruppe von Menschen auch als „Kollapsbewusstsein“ bezeichnet. Es wäre sicher wünschens- und lohnenswert, diese Erfahrung noch stärker psychologisch zu erforschen.
Die Vermeidung von emotionalem Schmerz führt auf individueller Ebene zur Symptomverschiebung und auf gesellschaftlicher Ebene zu Scheinlösungen. Wir befinden uns in einem Dilemma: Auch Aktivismus im Sinne von Aktionismus dient oft der Abwehr unangenehmer Gefühle wie Ohnmacht und Hilflosigkeit. Diese Abwehr hilft uns nicht, unsere Handlungsspielräume realistisch einzuschätzen und hilfreiche Lösungen zu finden. Innehalten und emotionale Verarbeitung brauchen Zeit – während sich Krisen weiter dramatisch beschleunigen und Zeitfenster zur Schadensbegrenzung immer kleiner werden. Genau an dieser Stelle sollten wir uns die Frage stellen, was Hoffnung und Zuversicht wirklich bedeuten können.
Im Rahmen einer globalen Umfrage zu Klimaangst bei Kindern und Jugendlichen gaben Dreiviertel der Befragten an, dass sie beängstigt in die Zukunft schauen und 56% sagten sogar, dass sie der Meinung sind, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist.[27] Wir können also getrost davon ausgehen, mit unseren Ängsten und dystopischen Zukunftserwartungen nicht allein zu sein. Auf einer psychologischen Ebene wäre es sogar hilfreich, diese offen auszusprechen und mit anderen zu teilen. Ergebnisse aus der psychologischen Forschung zeigen nämlich, dass der Prozess der Erkundung emotionaler Erfahrungen zu Wachstum, sowie zur Fähigkeit, die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse zu erfüllen führt[28] und dass es am vorteilhaftesten ist, wenn dieser Prozess im Austausch mit anderen geschieht.[29]
Die aktuelle Strategie bei der Thematisierung der Klimakrise gleich Berichte über erfolgreiche Lösungen anzufügen, sowie die Neigung vieler Medien zu einer Art Zwangsoptimismus,[30] führt leider oft dazu, dass sich Menschen unverstanden, ausgegrenzt und isoliert fühlen, die sich intensiv mit wissenschaftlichen Daten beschäftigen oder intuitiv katastrophale Entwicklungen erwarten. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, ernsthaft psychisch zu erkranken. Es mag, wie oben beschrieben, kurzfristige Lähmungsreaktionen und Rückzugstendenzen geben, auf lange Sicht ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass Optimist*innen fatalistisch oder, dass solidarische Menschen egoistisch werden, weil sie sich mit Kollaps konfrontieren. In der Psychologie wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die Persönlichkeit eines Menschen im Laufe des Lebens relativ stabil bleibt.[31]
Es ist davon auszugehen, dass wir zukünftig immer stärker andauerndem Stress bis hin zu Traumatisierungen ausgeliefert sein werden. Unter diesen Umständen wird sich ein großer Teil der Bevölkerung vermutlich weniger rational und solidarisch verhalten. Um demokratische Prozesse zu erhalten und vulnerable Gruppen zu schützen, braucht es solidarische Vorbereitung auf kommende Krisen.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass auch Ohnmachtserleben – vor allem bei einer bestehenden psychischen Erkrankung – pathologisch sein kann. Wie beim Angsterleben, ist dies aber nicht der Regelfall. Eine wichtige Aufgabe von Psychotherapie ist es daher, zwischen realistischen und pathologischen Gefühlen zu unterscheiden. Ohnmacht und Hilflosigkeit treten in der Regel in lebensbedrohlichen Situationen auf, denen wir schutzlos ausgeliefert sind. Sie können zwar kurzfristig zu Lähmung führen, bilden aber auch die Voraussetzung für einen Trauerprozess, welcher einen tiefgreifenden inneren Wandel erst möglich macht. Beispielsweise werden Menschen, die die Diagnose einer unheilbaren und tödlichen Krankheit erhalten haben, erst durch die Akzeptanz und das Aufgeben unrealistischer Heilungserwartungen fähig, ihre verbleibende Lebenszeit neu zu bewerten und sinnstiftend zu gestalten. In diesem Sinne ermöglicht uns auch erst das Bewusstsein der Unausweichlichkeit zukünftiger Katastrophen angemessene Vorbereitung.
Die Basis erfolgreicher Traumaverarbeitung bildet das Wiedererlangen beziehungsweise die Stärkung des Sicherheitsgefühls. Eine der größten Herausforderungen wird darin bestehen, Menschen zu unterstützen, in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben. Die Psychiaterin Dr. Lise van Susteren weist darauf hin, dass eine psychische Traumatisierung nicht nur bei Menschen auftritt, die einem lebensbedrohlichen Ereignis direkt oder indirekt ausgeliefert sind, sondern bereits in der Vorstellung stattfinden kann.[32] Der stärkste Schutzfaktor gegen die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung ist ein Gefühl von Zugehörigkeit und sozialer Unterstützung.[33] Insofern sind die wichtigsten Präventionsaufgaben, jetzt haltgebende und vertrauensvolle Netzwerke und Gemeinschaften aufzubauen und eine ehrliche und ungeschönte Krisenkommunikation zu fördern.
Laut den Herausgeber*innen des Buches Kritische Umweltpsychologie bleibt die aktuelle Psychologie in Bezug auf die sozial-ökologischen Krisen hinter ihren Möglichkeiten zurück.[34] Das hängt meines Erachtens stark mit der Dominanz der Verhaltenstherapie und der Marginalisierung anderer Therapieverfahren zusammen. Die humanistischen Therapieverfahren legen – im Gegensatz zur Verhaltenstherapie – ein positives Menschenbild zu Grunde und betrachten persönliches Wachstum, Selbstverwirklichung und Sinnstreben als primäre Motivationskräfte des Menschen. Somit werden existentialistische Themen – wie Tod, Freiheit und Verantwortung – ins Zentrum humanistischer Psychotherapie gestellt, statt lediglich psychische Krankheitssymptome zu betrachten.
In einer Zeit multipler Krisen und Zusammenbrüche scheint es wenig sinnvoll, die Psychologie nur in den Dienst der Klimakrise zu stellen und sich ausschließlich auf die Behandlung psychischer Symptome zu konzentrieren. Daher plädiere ich dafür, die bisherige Klimapsychologie durch eine humanistische Kollapspsychologie zu ersetzen, die uns dabei unterstützt unser Bewusstsein für Worst-Case-Szenarien zu schärfen – um als Einzelne und als Gesellschaft handlungsfähig zu bleiben.
Lizensierung
Norbert Prinz (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.
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1
Vgl hierzu auch den Beitrag von Wissen/Brand in diesem Band.
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2
Richardson, Katherine et al. (2023): „Earth Beyond Six of Nine Planetary Boundaries“, in: Science Advances 9, 37, eadh2458. https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adh2458.
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3
Vgl. hierzu den Beitrag von Kemp et al. in diesem Band.
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4
Vgl. Herrington, Gaya (2021): „Update to Limits to Growth: Comparing the WORLD3 Model With Empirical Data“, in: Journal of Industrial Ecology 25, 3, S. 614–626. https://doi.org/10.1111/jiec.13084.
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5
Vgl. Meadows, Donella H./Meadows, Dennis L./Randers, Jørgen/Behrens III., William W. (1972): The Limits to Growth, New York, NY: Universe Books. https://collections.dartmouth.edu/teitexts/meadows/diplomatic/meadows_ltg-diplomatic.html.
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6
Universität Hamburg (2023): „Zweiter ‚Hamburg Climate Futures Outlook‘ erschienen: 1,5-Grad-Ziel nicht plausibel: Gesellschaftlicher Wandel wichtiger als physikalische Kipppunkte“ [Pressemitteilung], in: Universität Hamburg: Newsroom [01.02.2023]. https://www.uni-hamburg.de/newsroom/presse/2023/pm3.html.
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7
Vgl. hierzu den Beitrag von Altermatt in diesem Band.
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8
Vgl. Servigne, Pablo/Stevens, Raphaël (2022): Wie alles zusammenbrechen kann – Handbuch der Kollapsologie, Wien/Berlin: Mandelbaum.
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9
Vgl. Orlov, Dmitry (2020): Die Lehre vom Kollaps – Die fünf Stufen des Zusammenbruchs und wie wir sie überleben, Solothurn: edition Zeitpunkt.
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10
Vgl. IFLAS (2021): „Over 500 Sign #ScholarsWarning on Collapse Risk“, in: University of Cumbria: IFLAS Initiative for Leadership and Sustainability [08.02.2021]. https://iflas.blogspot.com/2021/02/over-500-sign-scholarswarning-on.html.
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11
Weiler, Julia (2021): „Prepper – Vorbereitet auf den Zusammenbruch der Gesellschaft“, in: Ruhr-Universität Bochum – Newsportal [16.04.2021] https://news.rub.de/wissenschaft/2021-04-16-prepper-vorbereitet-auf-den-zusammenbruch-der-gesellschaft.
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12
Hamann, Karen/Baumann, Anna/Löschinger, Daniel (2016): Psychologie im Umweltschutz – Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns, München: oekom, S. 137.
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13
Vgl. den Artikel „Ohnmacht (Psychologie)“, in: Wikipedia [30.08.2024]. https://de.wikipedia.org/wiki/Ohnmacht_(Psychologie).
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14
Vgl. den Artikel „Posttraumatisches Wachstum“, in: Wikipedia [11.09.2024] https://de.wikipedia.org/wiki/Posttraumatisches_Wachstum.
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15
Tannenbaum, Melanie B. et al. (2015): „A Meta-Analysis of Fear Appeal Effectiveness and Theories“, in: Psychological Bulletin 141, 6, 1178–1204. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5789790/.
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16
gl. Meininger, Jessica/Ashour, Rima/Dohm, Lea (2023): Empfehlungen zur Berichterstattung über die Klimakrise aus psychologischer Perspektive, Bingen: Psychologists/Psychotherapists for Future e.V. https://medienleitfadenklima.de/wp-content/uploads/2023/01/Medienleitfaden-Klimakrise-Originalfassung.pdf.
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17
Psychologie im Umweltschutz e.V./Psychologists/Psychotherapistst for Future e.V. (2024): Kritische Umweltpsychologie – Krisen verstehen, Handlungsfähigkeit entwickeln, Gießen: Psychosozial-Verlag.
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18
Mann, Michael E. (2024): Propagandaschlacht ums Klima: Wie wir die Anstifter politischer Untätigkeit besiegen, München: oekom. Ein Zitat von Michael E. Mann aus einem Interview im Guardian, dass es wohl am ehesten trifft: „Doom-mongering has overtaken denial as a threat and as a tactic. Inactivists know that if people believe there is nothing you can do, they are led down a path of disengagement. They unwittingly do the bidding of fossil fuel interests by giving up.“ Watts, Jonathan: „Climatologist Michael E Mann: ‚Good People Fall Victim to Doomism. I Do Too Sometimes‘“, in: The Guardian [27.02.2021]. https://www.theguardian.com/environment/2021/feb/27/climatologist-michael-e-mann-doomism-climate-crisis-interview.
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19
Vgl. die Website von Just Collapse: https://justcollapse.org/.
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20
Vgl. Jensen, Derrick (2006): „Beyond Hope. Emoving a Major Stumbling Block to Acting on Behalf of the Earth“, in: Orion Magazine [02.05.2016]. https://orionmagazine.org/article/beyond-hope/.
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21
Bednarek, Steffi (2019): „This Is an Emergency. Proposals for a Collective Response to the Climate Crisis“, in: British Gestalt Magazine 19, 2, S. 4–13. http://dx.doi.org/10.53667/PFHH8985. Frei verfügbar unter: https://www.psychotherapyinbrighton.com/blogpost.php?permalink=this-is-an-emergency.
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22
Übersetzung des Autors aus: Krause Frantzen, Mikkel (2019): „A Future with No Future: Depression, the Left, and the Politics of Mental Health“, in: Los Angeles Review of Books [16.12.2019] https://lareviewofbooks.org/article/future-no-future-depression-left-politics-mental-health/.
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23
Becker, Matthias (2022): „‚Lerne du deinen Kopf in die Erde stecken …‘ Die unwiderrufliche Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ruft Angst und Wut hervor. Wie kann die Klimagerechtigkeitsbewegung damit umgehen? Versuch einer Annäherung“, in: SoZ – Sozialistische Zeitung 2. https://www.sozonline.de/2022/07/lerne-du-deinen-kopf-in-die-erde-stecken/. Das Fatale an der Dynamik, welche Becker beschreibt, ist, dass wenn reale Machtlosigkeit nicht als realer Fakt anerkannt wird, die individuell erlebte Machtlosigkeit als Pathologie, Hemmung, Fehlinterpretation verstanden werden muss. Die Leugnung realer Machtlosigkeit folgt ja der neoliberalen Ideologie „Jeder ist seines Glückes Schmied“, sprich: Wenn du Machtlosigkeit erlebst, hast du dich nur nicht genug angestrengt, hast du noch nicht die richtigen Tools gefunden oder bist krank.
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24
Sutter, Pierre Eric/Steffan, Loïc/Michot, Dylan (2020): Rapport de l’Étude OBVECO 2020. Neuilly-sur-Seine: OBVECO. https://obveco.com/2020/04/16/rapport-de-letude-obveco-2020/.
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25
Tröndle, Christian (2021): The End of the World as We Know It. Hope, Despair, and Action Among Deep Adapters [MA-Thesis]. Freie Universität Berlin: Visual and Media Anthropology [31.08.2021]. https://c9299165-b857-4b35-aec7-391ddb6bcf24.usrfiles.com/ugd/c92991_f301ca2c7f1c4a50942d8955aa1db85c.pdf.
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26
Vgl. die Website https://www.klimakollaps.org/angebote/klimakollaps-cafe.
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27
Vgl. Hickman, Caroline/Marks, Elizabeth/Pihkala, Panu/Clayton, Susan/Lewandowski, R. Eric/Mayall, Elouise E./Wray, Britt/Mellor, Catriona/van Susteren, Lise (2021): „Climate Anxiety in Children and Young People and Their Beliefs About Government Responses to Climate Change: A Global Survey“, in: The Lancet Planetary Health 5, 12, E863-e873. https://doi.org/10.1016/S2542-5196(21)00278-3.
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28
Staub, Ervin/Vollhardt, Johanna (2008): „Altruism Born of Suffering: The Roots of Caring and Helping After Victimization and Other Trauma“, in: American Journal of Orthopsychiatry 78, 3, S. 267–280. https://doi.org/10.1037/a0014223.
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29
Slavin‐Spenny, Olga M./Cohen, Jay L./Oberleitner, Lindsay M./Lumley, Mark A. (2010): „The Effects of Different Methods of Emotional Disclosure: Differentiating Post‐Traumatic Growth From Stress Symptoms“, in: Journal of Clinical Psychology 67, 10, S. 993–1007. https://doi.org/10.1002/jclp.20750.
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30
Vgl. hierzu den Beitrag von Müller in diesem Band.
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31
Pervin, Lawrence A./Cervone, Daniel/John, Oliver P. (2000): Persönlichkeitstheorien, München: Ernst Reinhardt Verlag.
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32
Vgl. Van Susteren, Lise (2018): “Lise van Susteren on Pre-Traumatic Stress Disorder and the
imagination”, https://www.robhopkins.net/2018/04/24/847/. -
33
Vgl. Sifaki-Pistolla, Dimitra/Chatzea, Vasiliki-Eirini/Vlachaki, Sofia-Aikaterini/Melidoniotis, Evangelos/Pistolla, Georgia (2016): „Who Is Going to Rescue the Rescuers? Post-Traumatic Stress Disorder Among Rescue Workers Operating in Greece During the European Refugee Crisis“, in: Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 52, 1, S. 45–54, https://doi.org/10.1007/s00127-016-1302-8.
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34
Vgl. Psychologie im Umweltschutz e.V./Psychologists/Psychotherapistst for Future e.V. (2024) (wie Anm. 17).