Poesie von Larry Faust
Weltschmerz
Ich liebe Worte. Vor allem, wenn ich das Gefühl habe, es sind genau die richtigen Worte zum richtigen Moment. Dieses Gefühl kriege ich oft, wenn ich ein Buch lese, welches zu mir flüstert, dass ich es lesen soll. Auf einmal werden mir Worte geschenkt, nach denen ich bereits gesucht hatte – nur dass ich es noch gar nicht wusste. Worte, die in mein (Nerven)system_körper einsinken können und mich verändern. Mein allererstes Gedicht ist für mich sehr überraschend entstanden – ich lag gerade auf dem Sofa und lauschte den Klaviertönen, die mein Mitbewohner kreierte. Ich war tief berührt von seiner Komposition und verspürte den Drang, dieses Gefühl auf Papier zu bringen. Seitdem wollen die Worte immer mal wieder einfach nur so aus mir herausfließen, sich in die Seiten meines Gedankenbuchs einverleiben. Ich kann die Tinte dabei bezeugen, wie sie sich den Papierholzporen hingibt, wie Wasserfarbe auf Aquarellpapier.
Schreiben ist für mich eine Praxis geworden. Oftmals helfen mir Worte dabei, mich in meinem Herzen zu erreichen. Zu begreifen, wo ich gerade stehe und was mich bewegt. Durch das Schreiben lasse ich meine emotionalen, wie auch spirituellen Erfahrungen und Erkenntnisse bewegen. So begreife ich Schreiben als einen zyklischen und intimen Prozess. Denn „meine“ Worte sind immer auch Ausdruck von meiner ganz persönlichen Ver- und Ent_wicklung.
In erster Linie schreibe ich also für mich. Ich schreibe aber auch um aufzubegehren. Um mit normativen Sprachanforderungen zu brechen und die Ränder von Poesievorstellungen auszudehnen. Als Kind wurde ich oftmals für meine Wortneuschöpfungen und Satzkonstruktionen belächelt. Heute zelebriere ich mich dafür – sie sind Ausbruch und Hoffnung zugleich. Ein Sichtbarmachen von Möglichkeitsspielräumen, eine Einladung für Sprachtransformation.
Ich glaube, dass mit der Welt, die zerfällt, auch unsere (deutsche) Sprache im Zerfall begriffen ist – sich verändert. Sprachwandelnde Keimlinge lauern zwischen den Buchstaben, sehnsüchtig wartend neuen Boden zu schaffen oder den bestehenden mit sattem Humus anzureichern. So erlaube auch ich mir mit Worten zu spielen und mit den Buchstaben zu tanzen, Stilbrüche und eben auch grammatikalische Ausbrüche zu wagen.
Und auch dies ist ein Ausbruch für mich: Es ist ein erstes schriftliches Sichtbarmachen – eine Veröffentlichung – meiner Texte. Mögen sie dich bewegen und berühren.
Kollaps
hörst du sie auch?
die Stimmen der Entrissenen
die einst ihren Frieden in Gewissheit ahnten
als sie noch den Boden unter unseren Füßen rahmten
bevor wir uns nahmen
ohne zu fragen
grenzenlos
vergessen wir auch heute noch die Gaben
collapsus
collabi
con labi
zusammensinken
zusammen sinken
die Chance ergreifen
vom allein sein
übers zwei sein
hin zum
gemein(t)_sein
Was können uns die Wurzeln über ihre Pflanzenkörper erzählen? Oder anders gefragt – wenn wir dieses Prinzip auf Worte anwenden: Was können wir herausfinden, wenn wir uns mit den semantischen Ursprüngen einzelner Worte beschäftigen? Was sind seine Entwicklungen und Veränderungsprozesse über die Jahrhunderte oder sogar noch länger? Was ist ihr Ursprung, seine Quellenergie?
zum glück hält mich meine haut
kälte krabbelt über meine knochen
wie ein ungebetener käfer über meine hau
ich schaue in die welt hinaus
durch dieses kleine
4,7 zoll große fenster
in meiner han
meine augen glasig und leer
vom ganzen starren
aber wie soll ich denn auch liebevoll schauen
bei diesen furcht_ehrlichen bildern?
welt brennt und ich brenne mit ihr.
mein Uterus bäumt sich auf
schäumend_blutig
schreit sie in Welt hinaus
stille.
diese verdammte stille.
hallo?
hört mich denn niemand?
mein gerade noch loderndes feuer
keucht und spuckt
schwarzer rauch
aus trockener glut
ich erlische.
ich verstumme.
mein kopf dröhnt
will aus allen nähten springen.
zum glück hält mich meine haut.
Was passiert in deinem Körper, wenn du Nachrichten schaust? Wie geht es dir, wenn du auf einer Plattform auf den Sozialen Medien am Handy scrollst? Fühlst du dich noch? Und wenn ja, wo und wie? Ich möchte dich ermutigen, dich dabei mit einem liebevollen Blick zu beobachten, egal wie du es machst, es ist nichts falsch. Es ist nur wichtig, dass wir wieder anfangen, uns bewusster mitzubekommen.
welt_Schmerz
ich hör dich in meiner Brust schlagen
fühl dich an meinem Herzen nagen
dabei will ich doch einfach nur schreien
und dabei gehalten sein
mein Herz pocht
und tropft traurig in (die) Einsamkeit
denn immer mal wieder vergesse ich
die Vielen
die ebenfalls das Vergehen bezeugen
und sich beugen
nicht weil sie aufgegeben haben
oder ihre Glauben_hoffnung verloren haben
Nein.
weil sie sich demütig zeigen
ihre Häupter neigen und
die Stirn zum Gruß am Boden reiben
ihre Fingerspitzen tief in die Erde graben
und sie nach Orientierung und Unterstützung fragen
Wer bin ich?
und
Wie kann ich dienen?
und dann erinnere ich mich
an dieses Gedicht
und sehe die Erde
wie sie mich hält
und in ihrer Schwebe wälgt
Jedes Wort hat einen eigenen Klang, sowie jede Stimme anders klingt.
Ich ermutige dich, die Worte auf deiner Zunge zu schmecken, sie laut auszusprechen, die Buchstaben zu jonglieren und mit unterschiedlichen Betonungen und Melodien zu spielen.
Meine Texte leben vom Vorlesen, wie ein Zauberspruch, der erst seine volle Wirkung erfährt, wenn er gesprochen wird.
Lizensierung
Larry Faust (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.