Ein Interview von Theresa Leisgang und Helen Britt
Wie bereite ich mich auf die kommenden Katastrophen vor?
Milena Glimbovski ist Gründerin von Unternehmen wie Original Unverpackt, dem Supermarkt ohne Einwegverpackungen, der die Zero-Waste-Bewegung in Deutschland revolutioniert hat. Sie ist Preisträgerin des Forbes 30under30 Europe 2020 Awards und wurde vom Berliner Senat als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Sie ist bekannt dafür, in ihren Keynotes, Artikeln und auf Instagram nicht nur über 10-Jahres-Pläne und Emissionen zu sprechen, sondern auch über ihre Gefühle. Im Sommer 2023 erschien ihr neues Buch Über Leben in der Klimakrise im Ullstein Verlag. Darin stellt sie konkrete Maßnahmen vor, die wir politisch, aber auch privat umsetzen müssen, um eine klimaresiliente Gesellschaft zu schaffen. Uns interessiert ihre Perspektive, weil sie eine der wenigen Stimmen im Diskurs ist, die insistieren: Viele klimatische Veränderungen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Wir haben keine Wahl, wir müssen uns anpassen.
Wir treffen sie im September 2024 online, als sie in ihrem Wohnzimmer in Südschweden sitzt, das sie sich nach dem letzten Umzug vor ein paar Monaten sehr gemütlich eingerichtet hat. In vertrauter Atmosphäre spricht sie offen über Entscheidungen, die sie für sich und ihre Familie aufgrund der Klimakrise getroffen hat. Sie nimmt sich Zeit, obwohl es der 6. Geburtstag ihres Sohnes ist – auf Instagram haben wir die Torte entdeckt und steigen gleich mit einer großen Frage ein, die wir aus der tiefenökologischen Arbeit The Work that Reconnects[1] kennen.
Milena, wenn du an die Welt denkst, in der dein Kind aufwächst, was ist deine größte Sorge?
Wenn ich an die Welt denke, in der mein Sohn aufwächst, gibt es immer zwei Seiten: Auf der einen Seite, was ich mir für ihn wünsche, und auf der anderen Seite, was ich glaube, was tatsächlich passieren wird. Natürlich wünsche ich ihm eine faire, gerechte, soziale und umweltfreundliche Zukunft. Ich möchte, dass er eines Tages, wenn er über Kinder nachdenkt, diese Entscheidung rein aus seinem eigenen Wunsch heraus treffen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob seine Kinder überhaupt Überlebenschancen haben. Aber ehrlich gesagt ist angesichts der derzeitigen Entwicklungen meine Sorge: Er wird in eine Welt hineinwachsen, die weniger gerecht, weniger offen und weniger klimagerecht ist, als ich es mir wünsche. Ich hoffe, dass er sich nicht verstecken oder zurückhalten muss, weil er Jude ist, so wie ich es als Kind gemacht habe. Bis heute überlege ich, in welchen Kontexten ich das überhaupt erwähne.
Ihr habt vor Kurzem Deutschland verlassen und seid nach Schweden gezogen. Was waren die Beweggründe für diesen Umzug?
Es war ein Mix aus vielen Dingen. Natürlich spielt die Klimakrise eine Rolle. Ich habe den Umzug auch damit begründet, dass ich mir für uns ein Leben in einem Land wünsche, das historisch weniger belastet ist als Deutschland. Ich erlebe hier weniger faschistisches Gedankengut als in Brandenburg, wo wir zuvor gelebt haben. In Schweden fühlt sich das Leben sicherer an, besonders im Hinblick auf den Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser. Aber es gibt auch persönliche Gründe. Ich habe meinem Sohn versprochen, dass er, wenn wir aufs Land ziehen, ein Haustier haben darf. Jetzt haben wir zwei Katzenbabies, und er ist überglücklich, Katzenpapa zu sein. Dieser Umzug war auch eine Möglichkeit, ihm ein ruhiges, naturverbundenes Leben zu bieten, was ich mir in Deutschland als alleinerziehende Mutter nicht hätte leisten können. Es ist fast ein bisschen wie Bullerbü hier – ich hoffe, dass er dieses unbeschwerte Leben so lange wie möglich genießen kann.
Du sprichst in der Öffentlichkeit oft über deine Ängste bezüglich der Klimakrise. Wie entscheidest du, was du kommunizierst?
Es ist immer ein Balanceakt. Ich überlege sehr genau, was ich öffentlich teile und wie ich das mache. Besonders auf Social Media wirken meine Beiträge oft spontan, aber ich denke immer gut nach, bevor ich etwas poste. Das betrifft vor allem meine neue Umgebung hier in Schweden. Ich möchte nicht gleich jedem erzählen, dass wir auch wegen der Klimakrise ausgewandert sind. Viele Menschen verstehen diese Angst nicht oder nehmen sie nicht ernst. Als ich an meinem ersten Schultag für meinen Sohn mit einem Vater sprach, der Brexit-Befürworter und Klimawandel-Leugner war, wurde mir klar, dass ich sehr genau überlegen muss, wem ich was erzähle. Oft mache ich aus meiner Klimaflucht einen Witz und sage, wir seien wegen des guten Wetters nach Schweden gezogen.
Dein Buch über Klimaanpassung ist 2023 erschienen. Hast du das Gefühl, das hat den Diskurs in Deutschland nach vorne gebracht?
Ich habe durchaus das Gefühl, ich kann heute viel besser und auch ehrlicher über das Thema sprechen als noch vor fünf Jahren. Ich erinnere mich an ein exklusiveres Abendessen bei einem bekannten Unternehmer in Berlin, der Chefredakteur einer großen Tageszeitung saß auch mit am Tisch und einige andere Leute mit innovativen Projekten, es muss 2018 gewesen sein. Weil ich dachte, das sind hochgebildete Menschen, habe ich bewusst von Klimakrise und Wassermangel in Berlin gesprochen – und alle haben mich angeguckt, als wäre ich ein Alien und komplett verrückt. Ich glaube, diese Leute würden heute anders reagieren, aber die Debatte war damals noch ganz woanders.
Ich wollte nicht dabei stehen bleiben, Klimaleugnern zu beweisen, dass es die Klimakrise gibt, sondern wollte wissen, wie wir ihr begegnen. Also habe ich versucht zu verstehen: Bis wohin können wir uns anpassen und ab wann geht das nicht mehr? Was ich feststellen musste: Wir wissen noch viel zu wenig darüber, wie wir uns auf die kommenden Katastrophen einstellen. Ja, es gibt bestimmte Anpassungsmöglichkeiten, aber die haben Grenzen. Vielleicht kann man sich in einem Landkreis beim Thema Wasser bis zu einem gewissen Grad anpassen, wenn es um Feuer und Brandschutz geht, aber vielleicht schon nicht mehr.
Welche Reaktionen haben dich nach der Veröffentlichung deines Buches erreicht?
Ich hätte erwartet, dass das Kapitel zu Migration die meisten interessieren würde. Hin und wieder werde ich auch nach meiner Motivation, auszuwandern gefragt. Aber was tatsächlich am häufigsten diskutiert wurde, war der Punkt der Vorbereitung auf Katastrophen. Mir ist wichtig, dass wir dahin kommen, zu verstehen: Vorsorge – also Prepping – ist ein sozialer Akt. Wenn ich mich selbst versorgen kann, entlaste ich staatliche Hilfskräfte, das Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk, die sich dann um andere kümmern können, die eher Hilfe brauchen. Besonders während Lesungen haben die Leute oft gesagt, dass sie vorher nicht darüber nachgedacht hatten, wie wichtig es ist, Vorräte zu haben, um nicht abhängig zu sein. Eine Sache, die ich in meinem Buch betone, ist, dass die Gemeinschaftlichkeit der Schlüssel ist. Menschen sollten sich zusammentun, sich gegenseitig unterstützen und nicht anonym vor sich hinwerkeln und nur auf das eigene Leben gucken.
Das scheinen erstmal zwei widersprüchliche Ansätze zu sein: Für sich selbst vorzusorgen oder Energie in eine gemeinschaftliche Vorsorge zu stecken …
Im Gegenteil! Es gibt ja die konkrete Empfehlung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, wenigstens Lebensmittel und Wasser für 10 Tage vorrätig zu haben. In der Recherche für das Buch fand ich es spannend, dass viele Betroffene von Hochwasser im Nachhinein sagen: „Ich dachte nicht, dass es genau mich treffen könnte.“ Deshalb ist es wichtig, dass wirklich alle diese Vorräte anlegen, wenn es irgendwie geht. Nur dann kann man im Katastrophenfall zum Beispiel mit den Nachbarn teilen, die es sich vielleicht nicht leisten konnten. Es kostet ja auch Geld, solche Vorräte anzulegen. Es geht hier nicht darum, dass alle Selbstversorger werden und ihr eigenes Gemüse anbauen, sondern um Strategien, mit denen wir als Gesellschaft gemeinsam gut durch eine Katastrophe kommen.
Wenn man sich die überraschten Reaktionen auf Extremwetterereignisse wie die Ahrtal-Flut anschaut, bekommt man eher den Eindruck: Viele verdrängen weiterhin, dass die Klimakrise auch uns in Europa betrifft.
Ja, ein gutes Beispiel ist meine Schwester, die in einem Hochwassergebiet in Bremen wohnt. Die Deiche in Bremen sind zu niedrig für das, was in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren passieren wird. Wenn ich ihr erkläre, dass sie jetzt noch eine gute Summe für ihr Haus bekommt, was in fünfzehn Jahren aber ganz anders aussehen kann, ist sie wie gelähmt, das umzusetzen. Komplett ohnmächtig. Vielleicht glaubt sie mir auch nicht, aber die Vorhersagen sind ja, was Hamburg und Bremen angeht, sehr eindeutig. Ein Zuhause zu verkaufen ist ein großer Schritt. Aber nüchtern betrachtet: Besser als es zu verlieren. Beim Hochwasserschutz und in vielen anderen Bereichen der Klimaanpassung passiert politisch einfach immer noch viel zu wenig.
Lass uns nochmal zurück auf die Rolle von Gemeinschaft in Krisenzeiten gucken. Du hast ja jetzt ein reales Experiment vor dir, in Schweden ein neues Netzwerk aufzubauen. Wie gehst du da vor?
Das ist eine sehr interessante Frage, denn Gemeinschaftsaufbau erfordert Arbeit. Eine gute Nachbarschaft passiert nicht einfach von allein. Wer von uns kennt schon die Nachbarn in der Straße? Als wir hierherzogen, kam meine Nachbarin an den Gartenzaun und sagte hallo, ich lud sie in den nächsten Wochen auf eine Fika, die schwedische Kaffeepause, ein und wurde auch eingeladen. Auf dem Land weiß man, dass man aufeinander angewiesen ist. Nach Hilfe zu fragen ist oft ein guter Türöffner. Am Vorabend der Einschulung von meinem Sohn wollte ich einen Kuchen backen, hatte aber kein Backpapier mehr. Also schrieb ich meiner Nachbarin, und bevor ich überhaupt aufstehen konnte, um rüberzugehen, klopfte sie schon an der Tür und brachte mir das Backpapier. Das war so eine schöne Geste, und es hat mir gezeigt, wie freundlich und offen die Menschen hier sind. Solche kleinen Gesten sind es, die den Grundstein für Gemeinschaft legen. Manchmal denke ich: Warum nicht einfach nach Zucker fragen, obwohl man gar keinen braucht?
Das wissen wir auch aus Erfahrung: Bis wirklich Beziehungen in der Nachbarschaft entstehen, braucht es Zeit. Mit wem führst du die ehrlichsten Gespräche über die Klimakrise?
Manchmal rede ich mit Freunden über den möglichen Kollaps und was passiert, wenn bestimmte Dinge nicht mehr funktionieren. Für mich war es in den letzten Jahren das Wertvollste, dass ich im regelmäßigen Austausch mit Freunden bestimmte Gedanken durchspielen konnte und merken durfte: Ich bin nicht verrückt und ich bin nicht allein damit. Ich glaube, es ist wichtig, solche Gedanken zuzulassen und sich zu fragen, was wir tun können. Dabei geht es nicht darum, in Panik zu verfallen, sondern eher darum, sich bewusst zu machen, dass viele der Veränderungen bereits im Gange sind. Sie sind oft so schleichend, dass wir sie erst spät bemerken. Aber sie passieren, und wir müssen lernen, damit umzugehen.
Welche Fähigkeiten sind deiner Meinung nach besonders wichtig, um mit den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte umzugehen? Was gibst du deinem Sohn mit auf den Weg in diese Welt?
Anpassungsfähigkeit ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir jetzt lernen müssen. Es geht darum, flexibel zu sein und sich auf Veränderungen einstellen zu können, egal wie schwer sie fallen. Gleichzeitig glaube ich, dass Hoffnung und Optimismus genauso wichtig sind. Wir dürfen uns nicht von der Angst lähmen lassen. Wir müssen aufstehen und weitermachen, auch wenn die Situation schwierig ist. Wie oft ich schon auf die Nase gefallen bin … (lacht) hoffentlich lernt mein Sohn von mir, dass Scheitern dazugehört und es trotzdem immer weitergeht.
Eine wichtiger Skill ist außerdem, gut zu priorisieren. Dabei hilft mir manchmal eine Übung, die sehr intensiv sein kann: Mir vorzustellen, es kommt eine schlimme Diagnose für mich oder meinen Sohn. Was, wenn wir nur noch ein Jahr zu leben hätten? Wenn ich mich da reinfühle, weiß ich: Ich wäre genau hier, ich würde genau das machen, was ich jeden Tag mache. Ich würde trotzdem meinen Garten pflegen und natürlich ein paar Sachen bürokratisch in Ordnung bringen, damit für meinen Sohn vorgesorgt wäre. Aber ich würde viele Entscheidungen genauso treffen, wie ich es heute tue, um eine Welt zu erschaffen, die schön ist.
Du gibst unter anderem Workshops, in denen du deine Strategien für große Visionen teilst. Wie schafft man das, in einer so unsicheren Welt Zukunft zu denken?
Ich bin jemand, der langfristig denkt, und das hilft mir, auch in unsicheren Zeiten den Überblick zu behalten. Ich glaube, ich habe angefangen, 10-Jahres-Pläne zu machen, als ich meine erste Firma gegründet habe. Eine Vision für die Zukunft zu haben ist wichtig, selbst wenn ich weiß, dass sich die Umstände ändern werden. Zum Beispiel stand in meinem Plan, dass ich mit 35 ein Kind bekomme, aber dann wurde ich mit 28 unerwartet schwanger. Das hat natürlich meinen Plan verändert, aber das ist okay. Man muss flexibel bleiben und bereit sein, sich anzupassen.
Ich glaube, für viele, die in Deutschland aufgewachsen sind, die weiß sind und privilegiert, ist es unheimlich schwer, sich vorzustellen, wie eine Welt ohne diese Stabilität und Privilegien aussieht. Wie es wäre, nicht mehr einfach frei herumreisen zu können oder in ein Land umzuziehen, das mir gerade gut gefällt? Ich habe einmal mit einer Freundin über den möglichen Kollaps unserer gesellschaftlichen Systeme gesprochen und sie meinte: Na ja, wenn es dann so weit ist, dann würde sie wie ich nach Schweden ziehen und sich ihr Haus autark ausbauen. Das Problem ist nur: Im Krisenfall hast du nicht mehr die Baustoffe, du kannst nicht mal eben eine Solaranlage installieren, Lieferketten von Batterien sind unterbrochen und wahrscheinlich sind die Immobilien bis dahin unbezahlbar und du kommst nicht mehr über die Grenze.
Das scheint ein weiterer wichtiger Skill zu sein: Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein …
Vor allem ist wichtig, nicht aus Angst zu handeln, sondern aus Freude und Überzeugung. Ich bin nicht nach Schweden gezogen, weil ich Angst vor der Zukunft hatte, sondern weil ich hier leben möchte. Ich liebe die Landschaft und empfinde die Kultur als sehr angenehm und stressfrei. Es war eine bewusste Entscheidung, für ein Leben im Haus am Waldrand, und ich bin glücklich darüber.
Vielen Dank, Milena, für dieses offene und ehrliche Gespräch. Deine Geschichte ist in jedem Fall empowernd für alle, die sich fragen: Bin ich gerade noch am richtigen Platz in meinem Leben angesichts der kommenden Katastrophen?
Lizensierung
Theresa Leisgang und Helen Britt (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.
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Macy, Joanna und Molly Brown (2020): Coming Back to Life: The Updated Guide on the Work that Reconnects, Gabriola: New Society Publishers.