Ein Interview von Gerriet Schwen und Theresa Leisgang
Wie planbar ist die Zukunft?
Matthias Zeeb berät weltweit Regierungen zu ihren Rentensystemen – von Abu Dhabi über die Mongolei bis nach Ruanda. Dabei steht er immer wieder vor dem gleichen Problem: Klimaveränderungen werden systematisch ausgeblendet.
Klar ist: Unsere Lebensweise heizt den Planeten auf, obwohl alles Leben, Wirtschaften und jede Zukunftsplanung darauf basiert, dass unser Klima bewohnbar bleibt. Die Klimakatastrophe wirkt für viele zu abstrakt, zu weit weg – räumlich, zeitlich und emotional. Nachdem emotionale Appelle wenig zu Klimabewusstsein und Verhaltensveränderung beigetragen haben, führt im Bereich privater Versicherungen gerade kapitalistische Logik dazu, Gefahren der Klimakatastrophe anzuerkennen. In Deutschland spüren die meisten die Folgen noch nicht direkt, doch die Wahrheit holt uns ein: In Amerika ziehen sich immer mehr Gebäude-Versicherungen aus Regionen zurück, in denen die Risiken durch Extremwetter zu groß werden und nach den Versicherungsschäden im Ahrtal ist es eine Frage der Zeit wie lange Gebäude-Versicherungen an der deutschen Küste erschwinglich bleiben. Doch staatliche Rentensysteme blenden Klimaprognosen immer noch weitgehend aus. Dabei geht es bei der Rente nicht nur um Zahlen, sondern um eine existenzielle gesellschaftliche Frage: Wie gestalten wir eine Zukunft, in der wir füreinander da sind, wenn wir es selbst nicht mehr können?
Die Lehrpläne der Wirtschaftswissenschaften sind nicht dafür bekannt, viel Fokus auf planetare Grenzen zu setzen. Seit wann sind Klima und Polykrise so wichtige Themen für Dich?
Umweltpolitik beschäftigt mich seit meiner Jugend. In Tübingen habe ich Wirtschaftswissenschaften mit Fokus auf Lateinamerika studiert. Ich erinnere mich noch an ein interdisziplinäres Proseminar zu „globalen Gefährdungen“: In einer Woche habe ich berechnet, dass unsere Wirtschaft 16-mal so treibhausgaseffizient werden müsste, um die bisherigen Wachstumsraten beizubehalten und gleichzeitig CO2-Austoß zu verringern. Daher habe ich schon damals in Frage gestellt: Gibt es eine Zukunft in unserem bisherigen Wirtschaftssystem?
Einige Tage später hat mich der Dozent dann in der Stadt angesprochen und meinte, „Du bist aber kein normaler Wirtschaftswissenschaftler, oder?“. Und das stimmt wohl. Ich habe schon damals Texte wie The Limits to Growth [1] gelesen, war in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv – alles in meiner Freizeit, auf dem Lehrplan der VWL tauchte das bestenfalls am Rande auf.
Was hat sich für Dich seither verändert?
Damals hatte ich den Eindruck, die Katastrophen seien noch weit in der Zukunft. Wirklich emotional eingeholt hat mich das Thema, als ich Vater wurde. Da habe ich verstanden: Meine Kinder werden dem voll ausgesetzt sein. Dann habe ich beruflich mehr zu Klima gearbeitet und dabei wurde mir deutlich, dass ich in meiner eigenen Lebenszeit noch viel heftigere Klimaveränderungen erleben werde, als ich immer dachte. Als Student habe ich zum ersten Mal das World3-Modell gesehen, in dem der Club of Rome in Folge von Ressourcenknappheit und anderen Faktoren mit einer Verringerung der Weltbevölkerung rechnet. Wenn ich heute Grafiken, Zahlen, Statistiken sehe, dann frage mich: Was bedeutet das ganz konkret für einzelne Menschen? Was bedeutet das für mich? Für meine Familie? Das ist ja nicht einfach nur eine abstrakte Kurve, die nach unten geht, sondern ein Hinweis auf viele Schicksale. Wenn wir ernst nehmen, was heute als ‚planetary boundaries‘ bezeichnet wird, dann müssen wir ganz grundsätzlich unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik in Frage stellen. Und im Grunde habe ich mich von dieser Erkenntnis nicht mehr erholt. Das beschreibe ich heute als ‚Kollapsbewusstsein‘. Und es gibt nicht viele Menschen in der Verwaltung, oder sonst in meiner Arbeit, mit so einer kollapsbewussten Einstellung.
Was erwartest Du denn?
Eine Zeit habe ich gleichzeitig in Burundi, Abu Dhabi und Kuwait gearbeitet, also gleichzeitig mit Menschen am oberen und unteren Ende der globalen Einkommensverteilung. Dabei wurde mir deutlich, dass Kollaps nicht weit weg in der Zukunft ist: Es gibt Millionen von Menschen, die das schon erleben! Millionen von Menschen fallen durch immense, globale Einkommensunterschiede schon heute aus sozialen Absicherungen heraus. Kollaps beginnt damit, dass du erlebst: Die Mittel, mit denen du deinen Lebensunterhalt bestreitest, reichen nicht mehr. Was du brauchst, um deinen Betrieb aufrecht zu erhalten, wird teurer oder funktioniert gar nicht mehr. Was du für dich brauchst, kannst du dir nicht mehr leisten – und der Bereich, in dem du mit deiner Familie gut leben kann, schrumpft. Subsistenzbauern erleben häufigere und/oder längere Dürren, mehr Starkregen, etc. Staatliche Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildungssystem sind nicht mehr ausreichend finanziert.
Das erleben nicht nur Menschen in Burundi. Als ich in der post-sozialistischen Periode der 90er Jahre in Russland gearbeitet habe, konnte ich miterleben, wie viele Sozialsysteme nicht mehr funktioniert haben.
Heute sind die meisten von uns ein kleines Rädchen im großen Getriebe und komplett abhängig von staatlichen Systemen für Wasser und Strom sowie Gesundheit bis zu Rechtssicherheit. Und in den 90er Jahren in Russland hat plötzlich nichts mehr davon richtig funktioniert. Beispielsweise die Rente wurde komplett von der Inflation verzehrt und Rentner*innen waren wieder von ihrem Stück Land, ihrer eigenen Arbeitskraft oder ihren Kindern abhängig.
Wenn für viele die eigene Arbeit nicht mehr reicht, um sich über Wasser zu halten, ist das ein volkswirtschaftliches Problem. Nur wenige Menschen haben im Alltag Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen, wie Volkswirtschaften, unser Geld- und Kreditsystem oder ihre eigene Rente eigentlich funktionieren. Was ist dazu besonders wichtig zu verstehen?
Im Grunde geht es bei Alterssicherung um die Frage, wie Menschen weiterleben können, wenn ihre verbleibende geistige und körperliche Kraft nicht mehr ausreicht, um sich selbst zu versorgen. Mit 85 Jahren und Demenz brauche ich ja auch Essen und ein Dach über dem Kopf – und vielleicht sogar noch Menschen, die mich pflegen. Wenn die eigene Kraft nicht mehr reicht, lässt sich das nur noch durch Kooperation lösen.
Das Problem ist größer in den individualistischen Gesellschaften der industrialisierten Länder. Dort haben sich vor allem zwei formelle Arrangements entwickelt: einmal das Umlageverfahren, wie bei uns in Deutschland, also, Erwerbstätige zahlen ein und aus diesem Geld wird eigentlich direkt die Rente an die Alten ausgezahlt. Und dann die kapitalgedeckten Rentensysteme, bei denen Menschen im Arbeitsleben Vermögen aufbauen, um davon im Alter zu leben.
Wie stabil siehst Du diesen Generationenvertrag in Deutschland: Junge zahlen ein, damit die Alten eine Rente bekommen?
In den letzten Jahren wurde viel diskutiert, welchen Einfluss es auf das Umlageverfahren hier hat, wenn Menschen länger leben und weniger Kinder geboren werden. Das verschiebt natürlich das Verhältnis von dem, was ein- und ausgezahlt wird und dafür wurde Verschiedenes angepasst, wie Rentenbeiträge und ein höheres Rentenalter. Da ist aber noch gar nicht mitgedacht, dass wir mit der Zerstörung des Klimas und der Biodiversität, mit der Erschöpfung von Ressourcen planetare Grenzen überschreiten.
Welchen Einfluss haben Klimakatastrophenn auf das Rentensystem?
Ein Arbeits- und Rentenleben von Beginn der Berufstätigkeit bis zum Tod umfasst ungefähr 75 Jahre. Um Rentensysteme über solche Zeiträume zu modellieren, arbeiten wir immer mit Annahmen. Annahmen zu Wirtschaftswachstum, demographischer Entwicklung, Entwicklung der Lohneinkommen, Mindestrente, etc. Über so lange Zeiträume zu rechnen ist immer mit Unsicherheiten verbunden, das ist unvermeidlich. Aber mit den Szenarien, die wir heute aus der Klimawissenschaft bekommen, und weiteren Einflussfaktoren wie der Biodiversitätskrise – vor diesem Hintergrund können wir doch nicht mehr einfach mit 2– 3% Wirtschaftswachstum für die kommenden 75 Jahre rechnen und alles andere unter den Tisch fallen lassen! Es ist aber tatsächlich so: Der Klimawandel wird in den Modellen nicht wirklich einbezogen …
Das ist kaum vorstellbar, denn in der Wissenschaft wird doch recht einvernehmlich davon ausgegangen, dass Ressourcenverfügbarkeit, Biodiversität und damit auch Versorgungssicherheit abnehmen, während Extremwetter und Gesundheitsbelastung zunehmen. Und private Versicherungsgesellschaften kalkulieren ja ganz nüchtern, was sich lohnt. Was passiert, wenn Du diese Fakten als Berater ansprichst?
Es stimmt, große Risikoversicherer sowie Gebäudeversicherer sehen und warnen vor Wetterrisiken, die ihr Geschäftsmodell bedrohen. Die Schäden sind jetzt schon signifikant und da der Sektor von privatwirtschaftlicher Logik getrieben ist, gibt es in immer mehr Regionen keine Immobilien-Versicherungen mehr. Das sehe ich als einen Frühindikator für die Gefährdung der Rentensysteme.
Und werden diese Zahlen nicht auf Rentensysteme übertragen?
In den staatlichen Rentenversicherungssystemen habe ich bisher nicht wahrgenommen, dass Klimaveränderungen nennenswert berücksichtig werden. Staatliche Rentenversicherungen reagieren da anders als private Versicherer. Ich halte alle Modellierungen, die ich gesehen habe, für zu optimistisch – sie modellieren am Problem vorbei.
Inwiefern?
Alle nehmen Wirtschaftswachstum an und Klimawandel wird kaum berücksichtigt. Wenn über Klimawandel gesprochen wird, wird gleichzeitig Wirtschaftswachstum nicht in Frage gestellt. Außerdem wird nicht berücksichtigt, dass sich Klimaerwärmung nicht linear verhält. Was wäre zum Beispiel, wenn die Zirkulation im nördlichen Atlantik zum Stillstand kommt? Eigentlich bräuchte es Pläne für verschiedene Szenarien. Es können Situationen eintreten, in denen die bisherige Entwicklung des Rentenniveaus nicht aufrechterhalten werden kann. Das wäre eine moderate Katastrophe. Eine weitergehende Katastrophe wäre – und das lässt sich dann auch nicht mehr modellieren –, dass ein sozio-ökonomisches System kollabiert und wir dann über ‚Failed States‘ sprechen müssten. Ich frage mich immer wieder: Kann es Vorbereitungen dafür überhaupt geben?
Ein Rentensystem muss ja vor allem heute funktionieren. Jedes System wird so lange wie möglich versuchen, sich selbst am Laufen zu halten. Da unterscheidet sich das Rentensystem nicht von unserem gesamten sozio-ökonomischen System, das wir weiterführen, weil grundlegender Systemwandel nicht vorstellbar ist. In diesem Sinne werden Fossile durch Erneuerbare ersetzt – ohne unser Wirtschaftssystem in Frage zu stellen. Daher denke ich, dass auch in Zukunft jeweils ad hoc entschieden wird, wie das Rentensystem auf neue Bedingungen angepasst wird. Und dann sind es letztlich Machtfragen, die darüber entscheiden, wer sich durchsetzt, wer die Lasten trägt, wem diese erspart werden – und wer ohne ausreichende Versorgung stirbt.
Historikerin Rebecca Solnit schreibt in ihrem Buch A Paradise Built in Hell,[2] in dem sie gesellschaftliche Reaktionen auf verschiedene Katastrophen analysiert, dass Verwaltungen und Behörden in den seltensten Fällen gut aufgestellt sind, um auf die Unberechenbarkeit und das Chaos von Katastrophen zu reagieren. Gleichzeitig sind es natürlich diese Systeme, die uns heute unser gutes Leben in Deutschland ermöglichen.
In den letzten Jahren wurde mir immer deutlicher, wie viel von meinem Wohlstand darauf basiert, dass wir ein globales System haben, von dem wir hier in den industrialisierten Ländern profitieren: Was wir wollen, kommt hier her. Dieses System auf einen global-gerechten sowie ökologischen Pfad zu bringen, würde immense Anpassungen von uns hier erfordern. Und leider gehe ich davon aus, dass auch in Zukunft immer Gewalt angewendet wird, um dieses ungerechte System für uns aufrecht zu halten. Wer ins Mittelmeer schaut, weiß schon, wo diese Gewalt bereits stattfindet.
Was können wir tun, um uns selbst abzusichern? Ist es überhaupt noch sinnvoll, ins Rentensystem einzuzahlen?
Das Mantra der Vorsorge lautet da immer ‚Risiken streuen‘. Also: Ja, ins staatliche Rentensystem einzahlen und zusätzlich privat vorsorgen, gucken, dass du ein Häuschen mit Land kriegst, und lernen, wie du Kartoffeln anbaust … ich denke immer wieder daran, wie meine Großeltern gelebt haben: in einem Häuschen auf dem Land mit großem Gemüsegarten, ein Äckerchen Kartoffeln, ein Äckerchen Weizen, haben aber auch in der Fabrik gearbeitet – es gab also mehr Puffermöglichkeiten. Das ist heute enorm schwer geworden: Die Belastung für junge Familien, gleichzeitig Lebensunterhalt zu bestreiten und auch noch Geld beiseite zu legen für private Vorsorge, ist groß.
Was tust Du persönlich, um Deine Zukunft abzusichern?
Da habe ich keine klare Antwort. Aber mir geht es immer weniger um eigene Alterssicherung und immer mehr um ‚Enkeltauglichkeit‘. Ich mache mir mehr Sorgen darüber, mit was meine Kinder zu kämpfen haben, wenn sie so alt sind wie ich – und versuche gleichzeitig, dass sie nicht mitbekommen, wenn ich depressive Phasen habe. Gleichzeitig weiß ich: Statt uns um uns selbst Sorgen zu machen, müssen wir uns in globale Solidarität bewegen, in dem Wissen, dass es enorm schwierig und eigentlich nicht zu schaffen ist. Aber wenn wir uns selbst noch im Spiegel aushalten wollen, müssen wir auf diesem Weg sein.
Da geht es dann um spirituelle Fragen: Was ist mir denn wirklich wichtig? Was brauche ich wirklich? Daher bin ich jeden Tag auf der Suche nach Dingen, die ich nicht mehr brauche. Wenn ich ein Buch gelesen habe, das ich nicht in der Bibliothek gefunden, sondern doch gekauft habe, frage ich in der Bibliothek, ob sie es haben wollen – und meistens sagen sie ‚Ja‘. Das sind kleine Versuche, anders zu leben.
Wir müssen uns drauf einstellen, was kommen könnte – und dann mit dem zurechtkommen, was kommt. Ich kann kein Rentensystem ausdenken, das die globalen Krisen löst – das geht nicht. Ich kann nur sagen: Rechne nicht damit, dass es so weiter geht. Rechne damit, dass es schwieriger wird. Und versuche trotzdem, ein freundlicher und fröhlicher Mensch zu bleiben.
Lizensierung
Gerriet Schwen und Theresa Leisgang (2024) Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0.
-
1
Meadows, Donella H./Meadows, Dennis L./Randers, Jørgen/Behrens III., William W. (1972): The Limits to Growth, New York, NY: Universe Books. https://collections.dartmouth.edu/teitexts/meadows/diplomatic/meadows_ltg-diplomatic.html
-
2
Vgl. Solnit, Rebecca (2020 [2009]): A Paradise Built in Hell: The Extraordinary Communities That Arise in Disaster, London: Penguin Books.